Web 2.0 im Unternehmen: Mehr als nur den Ausschaltknopf kennen

Ben Schwan hat in der Wirtschaftswoche einen sehr lesenswerten Artikel zum Thema Kommunikationsverhalten unter dem Titel „Einfach mal abschalten“ veröffentlicht. Er geht auf die Informationsflut ein, die heute auf den normalen Benutzer einprasseln kann. Ich spreche hier bewusst von „kann“, denn ich glaube die Art, wie Informationen konsumiert werden, ist einerseits oft noch eine Generationsfrage, andererseits eine Frage, wer welche Medien benutzt, Typische Szenen zuhause: Meine Frau und ich sitzen auf dem Sofa oder Balkon. Sie hat eine Zeitschrift, Kopien oder ein Buch in der Hand, ich den Macbook auf dem Schoss. Typischer Satz:

„Du hängst ja schon wieder (oder immer noch) vor der Kiste“.

Sie holt sich Ihre Informationen größtenteils in gedruckter Form. Ich beziehe meine Informationen unterdessen weitgehend über das Netz, in hohem Maße per RSS Feeds.

RSS-Feed ist ein weiteres gutes Stichwort. Vor einigen Monaten war ich mit dem Kollegen Thorsten Zoerner auf einem Termin. Dabei ging es um Online Communities und der Funktionen. Wir haben dort Lotus Connections vorgestellt und ich habe erzählt, dass man Blogeinträge und anderen Infos per RSS Feed abonnieren, sich im E-Mail Programm oder im News Reader anzeigen lassen kann. Es kam von einem anwesenden Manager die Frage:

„Was sind denn RSSFeeds?“

Was will ich damit sagen: Wir sollten bei weitem nicht überschätzen, wie weit Web 2.0 Tools und Kanäle verbreitet sind. Viele Baby Boomer (und nicht nur die) sind noch lange nicht im Web 2.0 und man kann sich durchaus die Frage stellen, ob sie jemals dort ankommen werden. Überträgt man diese Beobachtung auf die Einführung von Web 2.0 Tools im Unternehmen, auf Enterprise 2.0 Projekte, so wird deutlich,wie sorgfältig Anwender aller Generationen an Web 2.0 Funktionen herangeführt werden müssen. Viele leben heute immer noch maximal „in der Inbox“, im E-Mail-Postgang und sind weit von „Thinking outside the Inbox“ entfernt.

Und natürlich hat Ben Schwan mit vielen seiner Aussagen absolut Recht; Es besteht die Gefahr zum Informationsjunkie zu werden. 300 – 400 RSS Einträge pro Tag sind einfach nicht zu konsumieren, selbst bei bestem Quer- und Schnelllesen. Der Ausschalter an Computer, Smart Phone hat wie schon zu Zeiten des Fernsehens seine Berechtigung. Ja, und auch der Versuch, unterschiedliche Informationskanäle gleichzeitig zu konsumieren, ist extrem fragwürdig. Bei einer solchen Informationsüberreizung ist nur eine partielle Wahrnehmung von Informationen möglich. Hier stelle ich aber fest, dass man sich das antrainiert. Genau wie ich mir vor Jahren das Schnell- und Querlesen angewöhnt habe (böse Zungen sprechen von oberflächlich lesen), so beobachte ich jetzt eine selektive Wahrnehmung, wenn ich meine Tweets oder RSS Feeds durchgehe: Der Blick für den Informationsnugget, das mich interessiert. Und nein, ich will gar nicht wissen, was mir vielleicht durch die Lappen geht.

Doch hier erneut Stop: Wieder sollten wir nicht vom Informationsjunkie ausgehen und an die „normalen“ Anwender – welcher Generation auch immer – denken. In der privaten Nutzung wird er meist mit den neuen Werkzeugen alleine gelassen und macht via „learning bei doing“ seine Fehler. Man denke nur an die Erfahrungen mit E-Mail Spam und Viren, die viele Anwender privat leidvoll gemacht haben und wohl noch machen. Doch auch im Beruf, wird der Umgang mit E-mail selten trainiert. Welches Unternehmen weist  seine Anwender in die Benutzung von E-Mail ein, damit E-Mail korrekt  und effizient genutzt wird? Auch E-Mail kann einen ROI haben … Noch dringlicher ist es, die Einführung neuer Web 2.0 Tools im Unternehmen organisatorisch zu begleiten. Ich korrigiere mich, nicht zu begleiten sondern zu führen. Bei Web 2.0 im Unternehmen soll(te) ein ROI angestrebt werden. Die Einsatzgebiete gehören identifiziert, die Anwender in der Einführung begleitet und trainiert. Bei einem Enterprise 2.0 Projekt geht es nur sekundär um Technik, primär um möglichst nachvollziehbaren Nutzen und Arbeitserleichterung für die Anwender.

Comments

3 Antworten zu „Web 2.0 im Unternehmen: Mehr als nur den Ausschaltknopf kennen”.

  1. Thorsten Zoerner

    Die Kunst besteht wie bei jeder Form des (Personal) Information Managements: selektiv lesen. Bei der Zeitung sind wir es gewohnt. Oder wer erlaubt sich heute die Tageszeitung von vorne bis hinten durchzulesen? Feed Reader, E-Mail Box oder sind darauf ausgelegt, dass sie uns zum „vollständigen“ Lesen nötigen („Du hast noch 1789 ungelesene RSS Einträge“). Der hieraus entstehende Eindruck des „Information Overloads“, da man im Eifer des Gefechts alle Feeds abonniert, die einem irgendwie als wichtig erscheinen, entsteht. Der Generationskonflikt kann aber gelöst werden, wenn man auch hier vom „Informationsnerd“ lernt.Persönlich verwende ich zum Beispiel: http://feedly.com – Diese Firefox Erweiterung zieht aus meinem Google-Reader die abonnierten Feeds und baut sie mir in Magazinform auf. Relevanz nicht Anzahl der ungelesenen Beiträge steht da im Vordergrund. Einmal am Tag die „Feedly“ Seite aufrufen führt dann zum gleichen Erlebnis wie einmal am Tag in die Zeitung schauen.Learning-By-Doing ist ein Problem. Das Wissen über die richtige Nutzung der vorhandenen Tools findet kaum Wertschätzung. Für die Softwarelizenz, Fachanwendungen werden noch immer Investitionen für Schulungen getätigt. Für neue Verfahrenstechniken wird jedoch kein Budget reserviert, da der direkte ROI nicht erkennbar scheint. Web 2.0 Techniken – Sei es Social Bookmarking, RSS, Blogs etc… werden durch ihre „Einfachheit der Bedienung“ mit Schreibmaschinenansteuerungssystemen wie Word gleichgesetzt. Wieviel Jahre hat es gedauert, bis es keine Textverarbeitungsschulungs mehr auf breiter Front gab – sondern Kurse für die Erstellung eines Geschäftsbriefes?

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  2. Martin Koser

    Beide Beiträge kann ich nur unterstreichen – lasst mich noch ergänzen dass wir durchaus eine Weiterentwicklung des persönlichen Informations- und Medienmanagements einzelner sehen, auch per learning by doing und „lernen von den Best Practices der Peer-Group“. Das muss nicht zwingend ein Problem sein, wird es aber zu oft.Warum? Einer meiner Tricks ist es bspw. Links und Empfehlungen die vom eigenen Netzwerk vorgefiltert wurden bevorzugt zu beachten – ein Grund warum ich mir die Links die per Twitter oder Friendfeed kommen genauer anschaue als den weniger „vorgefilterten“ RSS-Kanal – dafür braucht man aber sowohl ein fähiges Netzwerk als auch die entsprechenden Werkzeuge, viel mehr und differenziertere Werkzeuge als die Email-Monokultur in Unternehmen häufig bietet.So wird die Welt immer zweigeteilter – die „Besitzenden“ bekommen noch mehr und besseres, die „Habenichtse“ fallen weiter zurück. Nicht in Bezug auf die Masse an Informationen die sie bekommen und verarbeiten müssen, aber im Hinblick auf deren Passung. Die Schere zwischen effizienten und effektiven Informationsverarbeitern die sich flexibel geeigneter Werkzeuge und Methoden bedienen und denen die unter der Last der Informationsflut stöhnen wird also weiter aufgehen. Und solange das nicht wirklich als Problem erkannt und angegangen wird ändert sich nicht viel – hier wäre aus meiner Sicht sowohl Begleitung als auch Führung notwendig. Führung ist vielleicht ein bissele wichtiger weil sie sowohl Prioritäten setzen als auch Freiräume schaffen kann (vom Zugriff auf ein Budget für Begleitung mal ganz zu schweigen). Und ich denke schon dass der RoI für solche Aktivitäten enorm sein kann, einmal für das Wohlbefinden und die Work-Life-Balance der Mitarbeiter, aber auch für das Unternehmen als Ganzes.

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  3. Thorsten Zoerner

    Wo wir dann bei Führung 2.0 angekommen sind, wie Prof. Kruse es nennen würde :http://www.youtube.com/watch?v=I1tajdaWBvI(Bitte das Thema "Beteilung von Mitarbeitern" abziehen)

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