Ausstellung in der Schirn — Von wegen Ende des PRIVATen (oder die radikale Offenheit des Persönlichen)

Die Schirn hat gerade eine neue Ausstellung unter dem Titel PRIVAT eröffnet. Hier einige Auszüge aus dem Artikel auf Schirn Mag:

Privat – das ist heute fast schon ein Wort aus der Vergangenheit. Kaum noch zutreffend in Zeiten, da alles auf Facebook gepostet wird, vom Lieblingskochrezept bis zum aktuellen Beziehungsstatus. Exhibitionismus, Selbstenthüllung, Erzähllust, Zeigefreude und Voyeurismus sind soziale Strategien unserer Zeit, in der längst ein Strukturwandel der Öffentlichkeit stattgefunden hat. …

Privatheit ist heute mehr denn je durch mediale Aspekte bestimmt. Der Wunsch nach immer schnellerer Kommunikation ist von größter Bedeutung, und vor allem die Medien Fotografie und Film ermöglichen eine schrankenlose Ausdrucksoffenheit. Die öffentliche Inszenierung privater Ereignisse, Homestories, Talkshows, Reality-TV, Chatrooms, digitale Fotoalben im Internet sowie die Präsentation von Persönlichkeitsprofilen für eine weltweite virtuelle Gemeinde sind Hinweise auf neue Formen öffentlicher Darstellung von Privatheit. Die aktuelle Debatte um den jüngst generierten Begriff der „Post-Privacy“ – der radikalen Offenheit des Persönlichen – stellt das bislang gültige Konzept von Privatheit in seiner Gesamtheit in Frage.

via PRIVAT — SCHIRN MAG.

Ich bin zwiegespalten bei diesen Aussagen. Auf der einen Seite finde ich es sehr gut, daß die Schirn das Thema aufgreift und Exponate durchaus auch sehr bekannter Künstler ausstellt. Auf der anderen Seite ärgere ich mich, wenn wieder einmal die Bilder nackter Jugendlicher, die sich auf Facebook „veröffentlichen“, quasi als Beleg genommen werden, dass das Netz schlecht ist und alle sich nur noch „naggisch“ machen, entblössen und entblöden.

Das sind genau die Sprüche, die bei Abendessen oder in netter Runde, durchaus auch in meiner Bekanntschaft kolportiert werden. Alle – besonders die Jugendlichen – geben nur noch Privates im Netz preis, meint man, wenn man diese Diskussionen und auch einige Aussagen des Schirn-Artikels liest. Ich wünsche mir eine etwas differenziertere Auseinandersetzung mit dem Thema, aber natürlich ist es einfacher, plakativ zu formulieren und das Ende der Privatheit zu verkünden. So ein Mumpitz.

Die Möglichkeiten durch das Netz, private Fotos und Informationen unkontrolliert zu verteilen, sind heute größer denn je. Das ist absolut unbestritten. Die Möglichkeit, mit Freunden weltweit in Kontakt zu bleiben, und zu wissen, wie es ihnen geht, was sie denn machen, war ebenfalls nie so groß. Aussage eines Freundes beim gestrigen Abendessen: Wenn ich Freunden die neuesten Fotos schicken will, dann kann ich das doch auch per E-Mail tun. Stimmt, aber statt E-Mails an 20 Freunde zu schicken, kann man diese Bilder auch den 20 Freunden – und nur denen –  gezielt auf Facebook oder über andere Kanäle zur Verfügung stellen. Und niemand außer diesen Freunden kann die Fotos auch sehen, wenn ich es korrekt einstelle. Von wegen sich vor allen „naggisch“ machen, Exhibitionismus oder Selbstenthüllung. Ich gebe allerdings auch gerne zu, dass bei mir – wie im Artikel geschrieben – Erzähllust und auch der Genuss am Lästern und Flachsen vorhanden ist. Es macht einfach Spaß, mit Freunden Dinge humorvoll auszutauschen. Wenn daran etwas Verwerfliches ist … Ich bin gerne albern, lustig oder humorvoll.

Drücken wir es es geschäftsmässig aus: Die Möglichkeit, mit Freunden, Bekannten, Geschäftspartnern und einer Community gezielt Informationen zu verteilen, zu tauschen und darüber transparent zu diskutieren, war nie so groß. Diese Transparenz hilft auch gerade Künstlern wie Ai Weiwei. Die neue Öffentlichkeit des Netzes ist nicht nur für ihn eine Lebensversicheurng und es gibt unzählige weitere Beispiele aus Politik und Wirtschaft, wo sich Zustände positiv durch den Einfluß des Netzes bewegt haben. Die sollte bei aller Verteufelung nicht vergessen werden!

Ai Weiwei, 258 Fake, 2011 (Detail), Neubearbeitung der Ausstellung „Ai Weiwei – Interlacing“ Edition von 12, 7677 Bilder (2003-2011) und 12 Monitore, variable Installationsmaße – Quelle: http://www.schirn-magazin.de/wp-content/uploads/2012/10/Schirn_Presse_Ai_Weiwei_258_Fake_2011.jpg

Ich hoffe, dass die Ausstellung ein weiterer Anlass ist, konstruktiv über das Thema aufzuklären und nicht nur durch erwähnte Bilder halbnackter Jugendlicher Stimmung zu machen. Gerade besagte „halbnaggische“ Jugendliche – aber sicher nicht nur die – brauchen Aufklärung in den neuen Kulturtechniken (und ich benutze das Wort Kultur hier ganz bewusst). Die Botschafter des Untergangs des ach so kulturell hochstehenden Abendlandes haben zu Zeiten von Radio und Fernsehen (und davor) bereits neue Kommunikationskanäle verteufelt statt zum konstruktiven Umgang damit zu raten. Wir Deutschen sind ganz besonders groß darin.

Es geht hier nicht um das Ende der Privatsphäre. Es geht darum, neue Technologien und Kulturtechniken bewusst und gekonnt zu lernen, zu benutzen, die Potentiale positiv zu nutzen und Fehler zu vermeiden. Aufklärung und Ausbildung ist gefragt, nicht Verteufelung! Post-Privacy ist aus meiner Sicht auf jeden Fall der komplett falsche Begriff und Ansatz.

Und natürlich reitet das Schirn-Plakat auch wieder das Vorurteil der naggische Jugendlichen auf Facebook … Was Publikum bringt, wird gemacht.

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