New Work? Oder die Rückkehr der wilden Enten und das Imperium schlägt zurück

Das Thema Arbeitsplatz der Zukunft oder Digital Workplace beschäftigt mich nun wirklich geraume Zeit. Den Begriff „New Work“ wage ich nach der letzten Diskussion im Facebook Video Chat von Gunnar Sohn gar nicht mehr benutzen. Diese Diskussion, aber auch die Beiträge von Katharina Krentz zu ihrer Arbeitsumgebung, der Bericht von Siegfried Lautenbacher zu den Herausforderungen von Sabine Kluge bei Siemens oder auch die leidige Diskussion um die Abschaffung der Heimarbeitsplätze bei IBM treiben mich dann doch zu diesem Kommentar. Der sich betroffen fühlende Hund bellt.

Im Videochat, den Gunnar Sohn gehostet hat, ging mir – man verzeihe mir die klare Sprache – tierisch auf den Senkel, dass die fast ausschließlich anwesenden Freiberufler glauben, denen, die in Unternehmen Dinge zu verändern suchen (Stichwort Change Management), erklären zu müssen, dass sie viel expliziter und öffentlicher mit ihren Bemühungen, den Erfolgen und Misserfolgen umgehen müssten. Das war der Moment, in dem mir die Haare ausfielen und ich alle die, die mühsam Veränderungen mit viel persönlichem Einsatz und unter latentem internen Beschuss treiben als Robin Hoods in Unternehmen bezeichnet und verteidigt habe.

Und zu dieser Aussage stehe ich: Dies sind die Jedi Ritter, die sich jeden Tag bemühen und unter latentem Beschuss der Bürokratie und der Nomenklatura Dinge hoffentlich zum Positiven im Unternehmen zu ändern. Zwar „ermächtigt“ von dem ein oder anderen Vorgesetzten, kämpfen sie doch ständig mit eingefahrenen Strukturen und vor allem Machtverhältnissen, die mit Klauen und Zähnen verteidigt werden. Welcher „Middle Manager“ hört beispielsweise gerne, dass seine Stelle an Macht verlieren oder gar verschwinden könnte? Welche konzernweite Richtlinie und Initiative setzt dann einfach mal die Großraumbüros durch, statt Projekträume für agiles Arbeiten zu schaffen und vielleicht gar den Mitarbeitern trotzdem irgendwie und irgendwo sein privates Eckchen zu lassen, wo die Fotos der Lieben oder sonstige Devotionalien stehen? Und wie viele Mitarbeiter haben Angst davor, dass ihr Wissen und damit ihre Stelle durch neue Management- und Projektmethoden obsolet wird? Das haben wir doch schon immer so gemacht …

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Katharina Krentz auf Facebook mit dem Wunsch nach einem festen Anker im Büro.

Kluge Unternehme leisten sich „Wild Ducks“, wie es bei uns in der IBM heißt. IBM-Chef T.J. Watson Jr. sagte in den 60er Jahren: “We are convinced that any business needs its wild ducks. And in IBM, we try not to tame them.” Aber natürlich existieren trotzdem die angedeuteten Widerstände.

In der von Gunnar moderierten Runde wurde dann auch gefordert, dass die besagten Jedi-Ritter, Robin Hoods und Change Agents doch nicht nur ihre Projekte an und für sich, sondern auch deren reale Ergebnisse öffentlich machen und entsprechende Fragen beantworten sollten. Wie blauäugig ist das denn? Nur selten wird ein Unternehmen das Ergebnis von Change-Initiativen wirklich mit harten Falten publik machen. Die Änderung könnte einen potentiellen Wettbewerbsvorteil öffentlich machen. Man könnte frühere Versäumnisse offenlegen. Und so was geht eh nur über die offizielle Pressestelle 😉 Hier bitte ich auch den entsprechenden Journalisten und Nachfragenden um das entsprechende Verständnis.

Um es nochmals klar zu sagen: Die besagten Wild Ducks tanzen bereits auf der Rasierklinge. Sie und ihre Stelle sind immer unter oft heftigem internem Beschuss. Dass die Wild Ducks, die über ihre Projekte in der Öffentlichkeit berichten, ist schon positiv und sollte ihnen helfen, die Arbeit voran zu treiben. Wie sagt Gunnar immer so schön: Wir spielen über Bande. Der Journalist bekommt eine interessante Story, der Change Agent öffentliche Anerkennung und Unterstützung.

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Die Arbeit als Change Agent oder Wild Duck ist erfüllend, sehr oft aber auch frustrierend. Ob dann der Weg in die Eigenständigkeit für jeden der richtige ist, wage ich zu bezweifeln. So kam es ein bisschen im Videochat rüber. Ich zolle denen Respekt, die diesen Schritt gehen, fordere aber auch explizit diesen Respekt gegenüber den Wild Ducks, die im Unternehmen verändern wollen und dabei nicht aufgeben, ein.

[Und ein kleiner Tipp an die Wild Ducks: Man kann befragenden Journalisten und Analysten durchaus sagen, dass man über gewisse Dinge und Zahlen nicht reden darf. Das wird meiner Erfahrung nach immer akzeptiert.]

Mir seien noch einige Bemerkungen zum Dogmatismus erlaubt. Ich zitiere Wikipedia:

Unter einem Dogma (altgr. δόγμα, dógma, „Meinung, Lehrsatz; Beschluss, Verordnung“[1]) versteht man eine feststehende Definition oder eine grundlegende, normative Lehraussage, deren Wahrheitsanspruch als unumstößlich festgestellt wird.

Wir haben derzeit im Markt einige interessante Entwicklungen. Rund um John Stepper haben sich in der Working Out loud-Initiative viele Vordenker und –wirker von „New Work“ – ich benutze den Begriff doch nochmals – versammelt, die sich in regelmäßigen Runden austauschen. Die Initiative finde ich empfehlens- und unterstützenswert (was ich ja auch z.B. getan habe, indem ich für das Treffen auf der re:publica 2017- hier der Live-Mitschnitt – natürlich den IBM / Design Offices-Stand zur Verfügung gestellt habe). Doch muss es erlaubt sein, auch Prinzipien, Vorgehen und Aussagen der Initiative in Frage zu stellen. Genau das gehört dazu. Und man darf das auch, wenn man selbst nicht der Initiative angehört, sondern sie nur beobachtet. Hier ein entsprechender Beitrag auf dem CIOKurator. Versucht man kritischen Geistern den Mund oder die Fragen zu verbieten, so erweckt man plötzlich den Eindruck des Sektenhaften.

Ähnliche bedenkliche Entwicklungen sehe ich auch rund den Hype über agile Projektmethoden (Link zu den „agilen“ Beiträgen auf dem CIOKurator und zum Thema Agiles Marketing hier, das mir natürlich sehr am Herzen liegt). Viele der Leitsätze und agilen Methoden sind absolut begrüßenswert und sollten sogar eine Selbstverständlichkeit in der täglichen Projektarbeit sein. Sie können zu einem deutlich ziel- und ergebnisorientiertem Arbeiten führen. Wenn jedoch die Theorie zum Dogma erhoben wird, können genau gegenteilige Effekte eintreten. Für mich ist das Thema Co-Location, alle Projektmitarbeiter sollen an einem Ort in einem Raum arbeiten, ein solches Dogma. Es entspricht nicht der Struktur und Arbeitsweise in einem weltweit operierenden Unternehmen, wo Experten und Wissensträger an vielen Orten verteilt sitzen. Wer dann aber Co-Location als Dogma durchzusetzen versucht, schadet dem Unternehmen mehr, als es nutzt. Stattdessen gilt es quer zu denken: Wie kann ich beschriebene gemeinsame Projektarbeit durch moderne Technologien unterstützen und so die erhofften Ergebnisse simulieren.

Beides sind für mich klassische Beispiele, wo Menschen Theorien einen Wahrheitsanspruch verleihen und das ist fast immer falsch. Das ihrige tragen dann dazu Berater bei, wenn sie nach Schema und Vorlage F bestimmte Management- und Prozessprinzipien in Unternehmen durchdrücken, ohne links und rechts zu denken und besagte Flexibilität besitzen, um die angestrebten Ziele doch zu erreichen. Querdenkende Berater, die von außen in ein Unternehmen kommen, können wichtige Impulse setzen und Change voranbringen. Markus Reif plädiert in seinem lesenswerten Beitrag zur Digitalen Transformation für das Einbeziehen externer Berater: „Sie können keine Transformation mit Bordmitteln machen. Im laufenden Geschäft auch noch eine Veränderung zu managen, ist nahezu unmöglich. Sie brauchen entweder ein designiertes Team Ihrer besten Leute … oder externe Unterstützung …“

Oft sind die erwähnten Wild Ducks natürliche Verbündete der Berater. Oft aber bremsen die Berater diese auch aus und führen zu deren Frustration – wahrscheinlich auch umgekehrt. Und wenn Berater Mitglieder von Zirkeln wie Working out loud oder Promotoren agiler Methoden sind, muss man sich auch deren Motivation – nämlich Beratungsaufträge zu bekommen – klar vor Augen führen. Das ist übrigens Negatives, sondern ein ganz berechtigtes Interesse. Wenn durch sie neue Impulse und Ideen und besagtes Querdenken in Projekte kommen, sind sie extrem nützlich und wertvoll.

Meine 2 Cents: Ich bin überzeugter Pragmatiker in der Umsetzung von Projekten. Gerne schaue ich mir neue Ansätze wie Agile an, rate aber jedem dazu, nicht dogmatisch zu werden und nicht die eigenen Ziele und Werte aus dem Auge zu verlieren. Man kann und sollte neuen Ansätze positiv gegenüberstehen, sie nicht gleich ablehnen, nur weil sie neu sind, aber auch den gesunden Menschenverstand einschalten, wann und wie man sie anwendet

Ich bin In-Frage-Steller von scheinbar heiligen Kühen oder aus meiner Sicht sinnfreier Methoden und Messsystemen. Dabei ist mir wohl gegenwärtig, dass man gewisse Praktiken offenbar nicht ändern kann. Die Metrix – nicht die Matrix – lebt scheinbar für immer, auch wenn sich die Welt rund herum rasant verändert und Methoden und Messgrößen von früher obsolet führt. Ich habe darüber schon des Öfteren berichtet. Das Imperium schlägt immer zurück.

Ich bewundere diejenigen, die gehen, ein Unternehmen verlassen, wenn für sie das Fass zum Überlaufen gebracht wurde. Letztlich muss man diese Konsequenz ziehen, wenn man nur noch mit negativen Gefühlen auf der Arbeit ist. Also, Chapeau für den Mut, in die Selbstständigkeit zu wechseln und viel Erfolg.

Ich bitte aber auch um Respekt für diejenigen, die im Unternehmen bleiben und dort Veränderungen zu treiben suchen. Sie verdienen diesen Respekt, da sie sich von einer Mehrheit abheben, die nur noch mehr oder weniger blind mittrottet und sich meist ins Privatleben zurückgezogen hat (oder blind nach Unternehmensschema die Karriereleiter erklimmt). Unter dieser Mehrheit befinden sich viele, die auch mal verändern wollten, aber resigniert haben. Schade, aber der Wunsch nach sicherem Einkommen ist sicherlich nicht despektierlich zu behandeln, wie es in gar mancher Diskussion durchkommt.

Jedi Ritter, Robin Hoods, Wild Ducks sollten entsprechend geachtet und unterstützt werden. Sie sind – wie kann ich persönlich es anders schreiben – Katalysatoren, die enorm wichtig sind. Sie nehmen dafür manche Anfeindung in Kauf, sagen dem normalen Karriereweg (entsprechender Schulterklappen und Besoldung) ade und tanzen auf der Rasierklinge, gerade auch wenn sie in die Öffentlichkeit gehen, die sie einerseits brauchen, deren Wirkung aber auch ein Risiko darstellt. Ich zolle noch heute meinem ehemaligen Kollegen Wild Dueck Gunter Dueck Respekt für dessen seiltänzerische seine Performance. Deshalb bitte ich um den sorgsamen, respektvollen und durchdachten Umgang miteinander.

Für mich persönlich kann ich nur sagen: Solange ich in meinem Unternehmen das Gefühl habe, mit meinen Projekten Dinge verändern und vorantreiben zu können, solange „das Unternehmen“ (beziehungsweise unterstützende Chefs und Sponsoren) mir das erlaubt, finde ich durchaus Spaß und Befriedigung im Job in einem großen Konzern. Und manchmal sich selber nicht zu ernst nehmen, ist ein guter Ratschlag.

(Stefan Pfeiffer)

Comments

5 Antworten zu „New Work? Oder die Rückkehr der wilden Enten und das Imperium schlägt zurück”.

  1. […] leicht gekürzte Fassung meines Beitrags auf DigitalNaiv aber hoffentlich auch für die CIOs interessant, die sich mit New Work, Agile, Beratern und vielem […]

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  2. Ich bin nicht so naiv, die Veröffentlichung von Geschäftsgeheimnissen zu verlangen. Aber bei den hoch gepriesenen Methodiken, die da ständig abgefeiert werden, müsste es doch irgendeine Tendenz zur Verbesserung auf der Metaebene geben – also nicht betriebsintern gemessen? Wo ist die? Der Zufriedenheitsindikator von Gallup sagt etwas anderes. Ich kenne übrigens die Bemühungen der Robin Hoods in Konzernen – habe selbst lange genug in Konzernstrukturen gearbeitet. Wenn man aber Dinge öffentlich macht, wie die New Work-Bewegung, muss man mit kritischen Fragen rechnen so in Richtung elitärer Scheiß etc.

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  3. Hallo Gunnar,

    ich glaube nicht, dass es die von Dir geforderten Ergebnisse auf Metaebene schon gibt oder schon geben kann. Dazu sind wir mit all diesen Initiativen zu früh.

    Na ja, und das mit dem elitären Scheiß kenne ich nun seit Jahren. Heute sind halt digitale Transformation, Agile und New Work elitärer Scheiß, weil man damit an Besitzständen und Machtverhältnissen kratzt. Ob der Scheiß erfolgreich sein wird oder nur braune Masse bleibt, ist wie auch bei früheren Initiativen schwer vorauszusagen. Die Quote des Scheiterns erscheint mir sehr hoch. Nichts hat mehr Bestand als der Bestand. Nichts wird mehr verteidigt als der Bestand.

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  4. Es gäbe viel über deinen Artikel zu diskutieren. Hoffe wir kommen mal dazu.
    Unter anderem habe ich den Fehler gemacht, auf den von dir „sehr empfohlenen“ Artikel zu klicken. Da hab ich eine böse Überraschung erlebt… vermutlich meintest du das mit der Empfehlung sarkastisch?

    Seitenhieb zu WoL:
    WoL is halt das neue #Coaching.
    Genau so gefällig. Nur nochmal deutlich billiger.

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  5. Danke Stefan – ich habe auch die Reflektiknszeit Weihnachten genutz um wieder etwas Bodenhaftung zu üben. Wir sind in unserer Bubble schon extrem weit. Die Mehrzahl der Mitmenschen erlebe ich als völlig Technologie/Informations/Aktionismus-überfordert. Vielleicht sollten wir 2018 nicht schneller, weiter, mehr, sondern Erreichtes festigen, Qualität und Umsetzbarkeit verbessern, Hintergründe und Erfahrungen zu dokumentieren?

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