Von wegen Bye-Bye: Vertrieb braucht Marketing als Sparringpartner auf Augenhöhe

Silke Hermann und Niels Pflaeging haben in Heft 1/2018 der Zeitschrift #acquisa einen lesenswerten Beitrag unter der Überschrift Bye-bye Marketingabteilung! geschrieben. Sie analysieren scharf Missstände, die auch aus meiner Sicht heute in vielen Marketingorganisationen und im generellen Verständnis der Marketingprofession vorherrschen.

Ich liebe einige Aussagen:

Was sich heute beobachten lässt, ist: Die meisten Marketingbereiche in Unternehmen haben sich zu mit Spezialisten und Experten bestückten Spezialabteilungen im Innendienst entwickelt.

Innendienst ist hier das Stichwort. Wie viele Marketer verschanzen sich hinter Excel-Reports und Powerpoint-Präsentationen für ihr Management und sind nicht im Dialog mit den Kunden? Wie viele Marketer werden in genau diese Rolle durch interne Organisationsstrukturen und Nomenklatura getrieben?

Ich höre schon die Fanfaren: Ja, aber Erfolgsmessung, eine klare Metrix und Erreichen der Zielvorgaben sind unverzichtbar. Meine Antwort: Gegessen. Aber wie viel Zeit sollte eine Marketer auf Reporting verwenden und wie viel Zeit sollte er im Markt bei Kunden und Interessenten verbringen? Und stimmen unsere Messparameter wirklich? Wie bewerten wir wirklich eher weiche Begriffe wie Influencer Marketing, Share of Voice? Wie wichtig sind wirklich Kundenkontakte jenseits von Click-Through-Rates? Wie wertvoll sind über das Web gewonnene Adressen (meist falsch eingegebene Daten, da die Mehrzahl der Interessenten nur ungerne Registrierungsformulare mit ihren wirklichen Daten ausfüllen), die man dann von Call Centern meist erfolglos abtelefonieren lässt? Ist der derzeit viel diskutierte Net Promotor Score ein Ausweg aus der Messbarkeitsproblematik oder auch nur kurzzeitiger Hype?

Zentrale, hierarchische Steuerung könne, so Silke und Niels, heutzutage nicht mehr funktionieren. Marketing arbeite, plane und analysiere in einer Scheinwelt, weit weg von dem wirklichen Marktgeschehen

Zwischen Marketing als steuernder Funktion, von Märkten abgewandt und vorwiegend im analytisch-technokratischen Modus agierend, und der wahren Komplexität der Märkte tut sich eine Kluft auf.

Silke und Niels fordern in Folge eine konsequente Dezentralisierung des Marketings und eine Verortung des entsprechenden Personals in den Einheiten, die direkt im Kundenkontakt sind. Die entsprechenden Profit Center bekommen demnach die Marketingressourcen direkt zugeordnet. Dies sei in unserem digitalem Zeitalter mit hoher Dynamik und sich latent ändernden Märkten absolut angebracht:

Letztlich geht es darum, die Marketingfunktion in die Wertschöpfungsstruktur zurück zu integrieren – dorthin, wo marktzugewandte Handlungsfähigkeit und Expertise tatsächlich realisierbar sind – statt Marketing in Formeller Struktur als mechanistische Abteilung zu betreiben, entkoppelt von Wertschöpfung und bürokratisch-technokratisch agierend.

Ich höre meinen ehemaligen Vertriebsleiter Dr. Thomas Zeizel laut zustimmend jubilieren.

Nur ein Teil des Marketings – beispielsweise generelle Brand Awareness, Flaggschiffveranstaltungen etc. – verbleiben in dem von Silke und Niels postulierten Pfirsich-Modell in einem kleinen Marketingzentrum:

Übergang von Budgets, zentralen Umlagen, Allokationen oder Standardkosten auf eine Wertschöpfungsrechnung, in der Gewinn stets in der Peripherie verbleibt, und das Zentrum für seine werthaltigen Leistungen von der Peripherie bezahlt wird.

Silke und Niels postulieren auch den Abschied von  steuerungsbezogener Rollen wie Produktmanager, Kampagnenmanager oder Business Developer, Und da fängt es bei mir an zu zwicken.

Mein Grundverständnis als Marketer war und ist sei jeher, dass ich eng mit dem Vertrieb meist in Person des Vertriebsleiters zusammengearbeitet habe. Wir haben unser gemeinsames Produkt- und Lösungsportfolio erfolgreich zu verkaufen. Der Marketingplan und die entsprechenden Taktiken werden demzufolge immer zusammen abgesegnet.

Das ist und war nicht immer einfach, denn natürlich gibt es unterschiedliche Meinungen und auch Ziele mit unterschiedlichem Zeithorizont. Für den Vertriebsleiter, in Silkes und Niels Bild der Leiter des Profit Centers, ist meiner Erfahrung nach meist das nächste Quartal das wichtigste in der Geschichte des Unternehmens (und oft auch seiner Laufbahn). Das spiegelt sich auch in den von ihm oder ihr geforderten, oft kurzfristigen Maßnahmen wieder. Und natürlich ist das persönliche Betütteln und Bewirten von Entscheidungsträgern in nettem Ambiente immer die erfolgreichste Methode, so viele Vertriebler. Das ganze Online-Gedöns taugt und nutzt eh nichts (aber natürlich muss man unsere Produkte auf Google finden …).

Ich überspitze bewusst, denn natürlich sind viele Profit Center-Leiter durchaus auch strategische Denker. Trotzdem glaube und fordere ich die Rolle des Marketing Managers als Sparringspartner auf Augenhöhe, der mit dem Vertrieb die Maßnahmen kontrovers diskutiert, die mittel- und langfristige Perspektive im Blick hat und auch die Macht hat, einen zeitgemäßen Marketingmix durchzusetzen. Marketing gerade an der Kundenschnittstelle muss auch mit neuen Technologien und Plattformen experimentieren dürfen. Gartner spricht von 10 Prozent „Spielgeld“, das im Marketingtopf sein sollte.

Im Zweifelsfall sollte, ja müsste er sogar ein Vetorecht haben, wenn Gelder falsch investiert werden sollen. Ja, dieser Marketer muss dann auf jeden Fall seine Kunden und seinen Markt kennen, mit ihnen ständig im Kontakt und Dialog sein, online in sozialen Medien und in Netzwerken, in Blogs und relevanten Foren, bei Kundenbesuchen, auf Veranstaltungen. Ein guter Marketer ist ein Kommunikator, der zuhört, mitdiskutiert und Gespräche „hostet“.

Und damit man mich richtig versteht: Unter beim Kunden sein, meine ich nicht, dass Marketer nur auf Events herum stehen. Es geht um wirkliche Dialog, um Interaktion mit den Kunden reden. Nicht umsonst bin ich beispielsweise ein großer Freund von Kundenvereinigungen und -beiräten, mit denen sich Marketing und Vertrieb regelmäßig trifft und austauscht, um Feedback direkt vom Kunden und Interessenten zu bekommen. In der Produktentwicklung ist es heute durch die Einbindung der Kunden über agile Methoden möglich, Produkte oder Dienstleistungen passgenauer zu entwickeln. Das sind die Stellen, an denen ein Marketing Manager aktiv sein muss und sich engagieren sollte. Und ja, daneben – nicht als im Zentrum der Tätigkeit – muss edie Infrastruktur vorhanden und betrieben werden, die Webseite, die Organisation von Events und auch das wirklich notwendige Reporting geleistet werden.

Eine ganz kleine Anmerkung zum Thema Marketingbudget aus der Praxis: Jeder Marketing Manager, der in Abstimmung mit seinem Profit Center-Leiter sein Portfolio, seine Kunden und seinen Markt kennt, hat sehr schnell ein Jahresgerüst an Marketingtaktiken beisammen. Dazu gehören Events, an denen man – natürlich abgestimmt mit dem Vertrieb – präsent sein muss. Das mag die eigene Kundenveranstaltung(en) sein. Das können regelmäßige Kommunikationsmaßnahmen sein. Für viele dieser Taktiken – nicht nur, aber insbesondere Events – ist eine Planung und Budgetierung sogar über 12 Monate hinaus sinnvoll und nötig, sonst klappt es einfach nicht. Nur mit Kurzfristbudgetierung und -planung klappt es ganz sicher auch nicht.

Mein (Zwischen)Fazit, liebe Silke und lieber Niels: Ich bin in vielerlei Beziehung bei Euch und teile Eure Ansichten, dass Marketing raus aus dem Innendienst hin zum Kunden muss. Hier ist in den vergangenen Jahren viel schief gelaufen. Die Idee flexibler, schnellerer, eigenverantwortlicher Einheiten hat einen nicht zu unterschätzenden Charme. Jedoch glaube ich – wie könnte es anders sein – weiterhin an die Rolle eines Marketing Managers, der zusammen und voll integriert mit dem Vertrieb als akzeptierter Partner auf Augenhöhe Marketing „macht“ und über das aktuelle Quartal hinweg denkt. Ich weiß, man macht eigentlich nur in die Hose, aber mein Glaube stirbt zuletzt, dass diese Rolle geschäftlich sehr sinnvoll ist und gelebt werden muss.

Vorletzte Randbemerkung: Wir scheren hier natürlich Marketing über einen Kamm. Es gibt natürlich Unterschiede zwischen Marketing im B2C oder B2B und in verschiedensten Branchen. Aber die generelle Diskussion um die Rolle von Marketing ist sinnvoll.

Letzte Randbemerkung: Laut Facebook-Eintrag von Silke und Niels kann man bei Christoph Pause von acquisa das Heft kostenlos anfordern: [email protected]

(Stefan Pfeiffer)


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Comments

4 Antworten zu „Von wegen Bye-Bye: Vertrieb braucht Marketing als Sparringpartner auf Augenhöhe”.

  1. Hat dies auf Der blog fuhriello macht das Fuhrwerk bekannt rebloggt und kommentierte:
    Was die derzeitige Pest ist ist automatisierte Veremailung, wo man mich abgestuft mit kostenlosen Wohltaten und Vorleistungen jedweder Art belästigt. Verkauf lässt sich aber nicht automatisieren, mit mir nicht. Menschen kaufen da wo andere Menschen sind, oder wo ich mir gut vorstellen kann, dass da auch so Menschen sind wie ich einer bin.

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  2. […] vorzubereitenden) Excel-Tabellen und Powerpoint-Präsentationen und hin zum Kunden. Und sie müssen Sparringspartner für den Vertrieb sein. Aber immer ist der Kunde im Fokus – und nicht das interne Orgchart. Ja, und dazu […]

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  3. Karl Leinstein

    Guter Kommentar, ich bin aber eher bei Niels… Die Vertriebler wissen wirklich aus erster Hand was am Markt los ist.
    Die „Quartals“- Denke wird den Vertreibern durch die „Planung“ (welch unterkomplexer Schwachsinn!) von den BWLern aufs Auge gedrückt. Die können ganz anders, glaube mir. In vielen Fällen beobachte ich, dass die „Marketingmenschen“ glauben so eine Art Gegenpol zu den Vertreibern sein zu müssen. Ich denke diese Ansicht ist der Organisationsform geschuldet. Als ich meine Karriere begann gab es Marketing&Verkauf (Marketing&Sales) in einer Hand. Da hat es wirklich geflutscht und da ist wirklich was weiter gegangen.. In den heutigen, sich leider verfestigten „Silostrukturen“ wird das Team oder Mannschaftsdenken eher verhindert. Jeder schaut oft eifersüchtig auf die andere Abteilung.. Nicht immer so aber leider viel zu oft.

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