Populistisch und platt: „Schaltet Facebook ab!“ fordert @Schieritz auf ZEIT ONLINE

„Schaltet Facebook ab“,  fordert in seiner Kolumne Fünf vor acht auf Zeit Online. Ok, natürlich eine bewusst provokante Überschrift und er kommt ja dann auch zu gemäßigteren Schlüssen, um an Ende doch nochmals drauf zu hauen:

Eine Minimalforderung wäre, dass Facebook für die Meldungen verantwortlich gemacht wird, die seine Nutzer posten und teilen. Wenn Facebook Unwahrheiten verbreitet, wären dann Strafen oder Gegendarstellungen fällig – wie es in den konventionellen Medien auch der Fall ist. Aber wenn Mark Zuckerberg wirklich die Welt zu einem besseren Ort machen wollte, dann sollte er sein Facebook einfach abschalten. Wir verbringen ohnehin zu viel Zeit im Internet.

über Soziale Medien: Schaltet Facebook ab! | ZEIT ONLINE

Unausgesprochen steht Facebook hier für alle sozialen Medien, das ganz Netz. Klingt natürlich populär, ist aber populistisch, Stammtischniveau und fördert eben nicht die kreative und konstruktive Auseinandersetzung mit dem Thema, die dringend notwendig ist.

Fakt ist, dass wir die Zeit nicht mehr in die Zeit vor den sozialen Medien zurückdrehen können, manche das auch gar nicht wollen. Es soll auch wenn auch sehr wenige Leute geben, die die Werkzeuge des Facebook-Konzerns nicht nutzen.. Doch generell ist die Aufgabe, praktikable Regeln zu finden, wie wir die sozialen Medien demokratisieren und Radikalen Einhalt gebieten. Und diese Regeln müssen wir ständig überprüfen und nachbessern. Mit Plattitüden wie in diesem Beitrag kommen wir nicht weiter.

Und zum oft diskutierten Thema Filterblasen und Echokammern: Die sind meiner Ansicht nach nicht eine Erfindung des Netzes. Die gab es – so erinnere ich mich zumindest mal an meine Studien zum Thema Strukturwandel der Öffentlichkeit und zu Medien und Medienmissbrauch vor und im Dritten Reich – auch bei Nationalsozialisten vor, in und nach der Machtergreifung. Medien jeglicher Art konnten immer ge- und missbraucht werden. Heute haben wir natürlich eine noch andere, potentiell weltweite Reichweite.

Und dem Verlust der Deutungshoheit der klassischen Medien hinterher zu weinen? Da sollten sich die klassischen Medienhäuser und auch Journalisten mal an die eigene Nase fassen. Sie haben in ihrem notwendigen Change Management versagt.

Dann noch die Aussage: „Wir verbringen ohnehin zu viel Zeit im Internet“. So etwas haben meine Eltern zu hören bekommen, als sie zu ihrer Zeit zu viel vor dem Radio saßen. Das hat meine Generation zu hören bekommen: „Bub, Du guckst zu viel fern“. Und jetzt wiederholt es sich wieder. Es geht doch nicht darum, im Internet zu sein. Es geht darum, was man dort tut. Man kann sich durchaus fundiert informieren, selbst wenn Verlage und Medienhäuser Bezahlschranken aufbauen und anhäufen, weil sie kein Geschäftsmodell für das Netz finden. Und ja, man kann dort auch Unsinn machen, sich desinformieren, leider radikalisieren.

Von einem Kolumnisten der ZEIT und einem sogenannten journalistischen Qualitätsprodukt erwarte ich jenseits des Stilmittels der Zuspitzung doch eine fundierte Auseinandersetzung, genau das, was Absätze zuvor gefordert wird. Wir brauchen die sachliche, ja auch mal pointierte Diskussion über politischen Diskurs im Netz und generell. Wir müssen nicht nur überlegen, sondern auch handeln, wenn das Netz zur Radikalisierung oder als Terrorhelfer missbraucht wird . Da kann man auch trefflich über die Notwendigkeit von mehr oder weniger Überwachung durch den Staat und die böse Gamer-Szene streiten. Ich bin da in punkto Überwachung eher bei Ulrich Kelber.

Nochmals: Das Thema Radikale im Netz, Missbrauch von Internet-Plattformen und Kommunikationskanälen sowie Radikalisierung durch das Netz sind sehr ernste Themen, oft national schwer anzugehen oder gar zu lösen. Trotzdem müssen wir mit Verstand und Engagement heran gehen, denn wir können die Zeit nicht mehr zurückdrehen. Ich bin weiterhin auch der Ansicht, dass die GAFAM-Konzerne stärker in die Pflicht genommen werden müssen, auch wenn es für die manchmal mühsam wird, aber sie verdienen ja auch schließlich genug. Gesetze müssen nachgebessert und durchgesetzt werden. Beleidigungen nicht noch von Gerichten bagatellisiert werden.

Und als alter Idealist glaube ich auch, dass wir die europäische Karte stärker spielen, Alternativen zu den Tools der GAFAM-Liga schaffen müssen. Die Schweizer Verwaltung kommuniziert mit Threema, unsere Verwaltungen und Schulen machen das meist über WhatsApp, weil ja alle da sind und es bequem ist (Immerhin ist WhatsApp ja End2End verschlüsselt, was dann auch wieder als gefährlich und als abhörenswert postuliert wird). Vor allem aber brauchen wir  Aus- und Weiterbildung, deutlich mehr Kompetenz der Nutzer im Netz. Nur von nix tun, kommt auch nix. Und abschalten kannste das Netz nimmer.

(Stefan Pfeiffer)

 Bild von Hermann Traub auf Pixabay

Comments

Eine Antwort zu „Populistisch und platt: „Schaltet Facebook ab!“ fordert @Schieritz auf ZEIT ONLINE”.

  1. Eine Bestätigung meiner Thesen oben zum Thema Filterblasen und Echokammern. Sie sind nicht durch das Netz entstanden:

    „Radikalisierung ist nicht erst durch das Internet entstanden“
    Leben wir alle in gefährlichen Filterblasen? Das ist ein Mythos, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Merja Mahrt. Aber wir sollten aufpassen, uns nicht abzukapseln.“

    https://www.zeit.de/digital/internet/2019-10/filterblase-echokammer-algorithmus-rechtsextreme/komplettansicht

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