Auto-Mobil: Können die deutschen Autobauer den Software-Vorsprung von Tesla überhaupt noch aufholen?

Das Thema E-Autos beschäftigt mich derzeit beruflich und privat. Im Job durfte ich kürzlich im IBM Livestudio Magazin einen ersten Schwerpunkt zum Thema Automotive* moderieren und hatte dort den deutschen Autopapst Friedrich Dudenhöffer und auch Sascha Pallenberg vom Daimler zu Besuch, die neben meinen Kollegen Dirk Wollenschläger und Salvatore Romeo interessante Einblicke in das Thema Automobilindustrie und Mobilität gaben. Natürlich wurden das Thema Corona und Einfluss auf den Verkauf von Wagen oder auch das Auto als fahrender Computer behandelt. Wie nicht anders zu erwarten, gab es knackige Aussagen, wie den Tweets zu entnehmen ist:

Gerade der letzte Tweet beschreibt die Zwickmühle, in der sich gerade auch die deutschen Automobilhersteller befinden. Der Daimler und natürlich auch Volkswagen wollen aufholen, aber zumindest VW Chef Herbert Diess gesteht Tesla im einem aktuellen Interview vom 1. August 2020 in der FAZ Tesla den Vorsprung zu:

Im Sammeln von Daten und bei der Vernetzung des Autos, da ist uns Tesla schon ein paar Jahre voraus. Tesla ist der einzige Hersteller, der das Auto von der Software her erdacht hat, als ein Device im Datennetz, das Kundendaten sammelt, das Daten auswertet und schnell reagiert. Da ist Tesla der Autoindustrie voraus.

VW-Chef Herbert Diess über seinen neuen Führungsstil

Nicht verborgen geblieben ist, dass VW gerade auch mit der Software noch Herausforderungen hat. Glaubt man den Presseberichten, so werden einige fortschrittliche Software-Funktionen im neuen ID.3 erst später nachgeliefert und auch beim Golf 8 gab es Software-Probleme. Man will die die eigene neue Einheit, die Car.Software-Organisation, personell aufbauen und deutlich verstärken. Und der gerade ernannte neue Chef der Unit, Dirk Hilgenberg, betont die Bedeutung der Software:

Wir läuten momentan die größte Revolution in der Automobilbranche ein. In wenigen Jahren werden das Betriebssystem eines Autos und seine Vernetzung mit einer hochsicheren Daten-Cloud den entscheidenden Unterschied ausmachen

Volkswagen: Dirk Hilgenberg leitet Car.Software-Organisation | Automobilwoche

Das hat ja auch Sascha Pallenberg in unserem Gespräch betont. Man will Google, Apple – und natürlich auch Tesla – nicht den Software-Markt überlassen, sondern „Smartphones auf Rädern“ mit eigenen Betriebssystem und entsprechender Wertschöpfung entwickeln. Das ist der Anspruch von Volkswagen, dem Daimler und wahrscheinlich auch BMW. Sie blasen zu einer sehr herausfordernden Aufholjagd, denn Tesla scheint derzeit Jahre voraus und hat als einziges Unternehmen eine zentrale Recheneinheit und Software aus eigener Entwicklung. Selbst beim neuen ID.3 von VW kommen dagegen wohl mehrere Betriebs­systeme ­und Recheneinheiten zum Einsatz. Oder auch anders herum gefragt: Was bedeutet der Trend für Zulieferer wie wie Bosch, Continental oder Schaeffler, die bisher hochspeziali­sierte Bauteile mit jeweils passender Software an die Autobauer liefern?

Der Daimler-Vorstandsvorsitzende Ola Källenius betont im F.A.Z. Digitec-Podcast vom 18. Juli 2020, wie wichtig ein neues modulares Betriebssystem für den Daimler ist, um auch die Vielzahl der Steuerungsmodule – Källenius spricht, wenn ich mich recht erinnere von 100 Steuereinheiten in der S-Klasse – zu integrieren und zu vereinheitlichen. Auch deshalb wurde die Kooperation mit Nvidia, einem der führende Anbieter von GPUs (Graphics Processing Units), eingegangen, um bei der Entwicklung eines fahrzeuginternen Computersystems sowie einer KI-Computing-Infrastruktur zu kooperieren. Sinnigerweise hat Tesla wohl auch mit Nvidia in seiner Hardware 2.5 gearbeitet, aber produziert wie gerade geschrieben nun Hardware und Software selbst …

Man wird aber den Eindruck nicht los, dass es in den deutschen Automobilkonzernen massiv rumpelt. Die Corona-Krise deckt dabei Versäumnisse auf, die wohl schon vor Jahren gemacht wurden. Wie kommentiert Holger Appel süffisant in der FAZ den Sanierungsfall Mercedes:

Weil der Sonnyboy Dieter Zetsche Elektromobilität und Digitalisierung verschlafen hat und sein Nachfolger Ola Källenius den ihm überlassenen Mercedes-Karren nicht aus dem Dreck kriegt.

Schlusslicht: Saniert mit Strategie

Und Ola Källenius will jetzt wohl statt auf A- und B-Klasse mehr auf die S-Klasse setzen, um sich über das Luxussegment zu differenzieren: „Luxury is Profit ist die neue Strategie von Källenius,“ kommentiert Ferdinand Dudenhöffer. Vielleicht hofft man, dass den Autofahrern irgendwann doch angeblich vorhandene Verarbeitungsmängel bei Tesla-Fahrzeugen auffallen? Derzeit nehme ich gefühlt immer mehr Teslas wahr … Und Tesla schläft sicher nicht – und baut im Herzen Europas die neue „Giga Factory“ in Brandenburg.

Die kommenden Jahre dürften also spannend und herausfordernd für den Automobilstandort Deutschland werden. So weit eine kurze Bestandsaufnahme aus der Megaperspektive. Und in Kürze dann meine persönliche Bestandsaufnahme als gemeiner Autofahrer.

* Im IBM Livestudio ist noch ein weiterer Schwerpunkt für Mitte August 2020 angedacht. Dort werden wir uns aber wahrscheinlich nicht so mehr mit den Fahrzeugen selbst, sondern eher mit Lieferketten und Produktion auseinandersetzen.

Nachtrag vom 4. August 2020:

Auf Xing gab es am gestrigen Tag einige Kommentare zum Beitrag (wirklich, es ist passiert), die ich als wertvoll erachte und gerne hier nachtragen möchte:


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2 Antworten zu „Auto-Mobil: Können die deutschen Autobauer den Software-Vorsprung von Tesla überhaupt noch aufholen?”.

  1. […] ja, natürlich gibt es auch den Platzhirschen Tesla, den ich ja auch in meiner Einschätzung der Automobilindustrie behandelt habe. Tesla scheint den deutschen Marktbegleitern einige Jahre voraus, weil sie den Fokus […]

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  2. […] im Nachgang zu meinen beiden Beiträgen rund um das Auto – einmal aus der generellen Marktperspektive und dann dem persönlichen „Fahrzeugbeschaffungsentscheidungsstand“ – noch zwei […]

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