Ein riesiger Algorithmus-Code (grüne Matrix-Zahlen) formt eine Marionettenhand, die Figuren von Politikern und Journalisten an Fäden hält. Die Figuren versuchen, sich zu wehren, während im Hintergrund Social-Media-Logos glühen.

Wenn Algorithmen Politik bestimmen: USA, Deutschland und die Eskalation im Netz

Es war eine dieser typischen US-amerikanischen Farcen: Ein Comedian wird gecancelt, weil er sich über die falschen Leute lustig macht – in diesem Fall über die Trump-Administration und ihre willigen Helfer. Jimmy Kimmel, der sonst eher für harmlose Promi-Interviews bekannt ist, wurde plötzlich zum Symbol für den Kampf um Meinungsfreiheit. Warum? Weil er es wagte, über die Ermordung des rechtsextremen Aktivisten Charlie Kirk zu spotten und die Epstein-Files zu thematisieren – beides Themen, die Donald Trump lieber unter den Teppich verschwinden lassen möchte. Darüber und über die Macht der sozialen Medien gerade in der jungen Generation sprechen Lars und ich bei .

Disney, der Konzern, der Kimmel eigentlich schützen sollte, knickte ein – zumindest für eine Woche. Dann kam der Shitstorm: Börsenverluste, Proteste von Schauspielern, selbst aus dem republikanischen Lager. Plötzlich war Kimmel wieder on Air, größer als je zuvor. Was lernen wir daraus? Dass selbst ein Mediengigant wie Disney nicht immun gegen den Druck der Öffentlichkeit ist – und dass Trump, trotz aller Macht, (hoffentlich) nicht unbesiegbar ist.

Doch die eigentliche Pointe: Late-Night-Shows sind längst nicht mehr nur Fernsehen. Sie sind Content-Fabriken für TikTok, Instagram und YouTube. 200.000 Zuschauer vor dem linearen Fernseher? Peanuts. Aber ein 90-Sekunden-Clip, der auf TikTok Millionen Views generiert? Das ist die neue Währung der Meinungsbildung. Und genau hier liegt das Problem: Die Algorithmen lieben Skandale, Emotionen und Polarisierung. Wer laut brüllt, wird gehört. Wer sachlich bleibt, geht unter.

TikTok: Von China zu Trump

Vor Jahren wollte Trump TikTok noch verbieten. Heute gehört die Plattform de facto zu Trumps Freunden. Ein Deal mit ByteDance, unterzeichnet mit einem Augenzwinkern: „I always like MAGA-related. If I could, I’d make it 100% MAGA-related.“ Trump hat verstanden, was viele andere immer noch nicht verstehen oder nicht akzeptieren wollen: Wer die sozialen Medien kontrolliert, kontrolliert die öffentliche Meinung.

Und während wir in Deutschland noch über Julia Ruhs und die „politische Korrektheit“ oder einen Linksdrall der Öffentlich-Rechtlichen streiten, wurde in den USA längst der nächste wirkliche Coup durchgezogen. TikTok ist schon lange nicht mehr nur eine App – es ist ein Werkzeug der Macht, um gerade junge Menschen zu erreichen.

Trump und seine Buddys haben nicht nur das traditionelle TV längst im Griff, sie dominieren auch Social Media. TikTok, Instagram & Co. sind die neue Bühne — und die Doppelstrategie des Präsidenten: Nicht verbieten, sondern kontrollieren. Plattformen werden von Freunden besetzt, dort regiert die Algorithmus-Diktatur. So entsteht ein Medien-Monopol, das freie, kritische Stimmen erstickt.

Deutschland vs. USA: Wie steht es bei uns?

In den USA ist der Kulturkampf ganz offensichtlich längst eskaliert: Medien werden unter Druck gesetzt, von Oligarchen gekauft, Late-Night-Hosts gecancelt, und wer nicht spurt, fliegt raus. Bei uns? Noch ist es nicht so weit. Aber es gibt bedrohliche Anzeichen. Hierzulande nutzt es die rechtsextreme AfD schon lange, um ihre polarisierenden, emotionalisierenden Botschaften, Fake News und Halbwahrheiten direkt in die Timelines junger Menschen zu spülen.

Doch auch die FAZ schreibt plötzlich wie ein Boulevardblatt, wenn es um eine Verfassungsrichterin geht, die ihr nicht passt, und natürlich stehen die Öffentlich-Rechtlichen unter Beschuss – nicht wegen ihrer Inhalte, sondern weil sie zu kritisch sein sollen. Ich vermeide mal den Kampfbegriff links-grün-versifft; die FAZ nicht.

Witzig oder ernst gemeint? Multiple-Choice-Test in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 27. September 2025: Wie kann man als seriöser Journalist schreiben: "Besser, man bewegt sich mit." Geht es noch?
Witzig oder ernst gemeint? Multiple-Choice-Test in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 27. September 2025. Aber wie kann man als seriöser Journalist schreiben: „Besser, man bewegt sich mit“ (nach rechts). Geht es noch?

Eines haben die USA und Deutschland auf jeden Fall gemeinsam: Die junge Generation informiert sich nicht mehr über Tagesschau oder FAZ, über CNN oder die New York Times, sondern über TikTok und Instagram. Für Deutschland hat das gerade eine Studie der Bertelsmann Stiftung bestätigt. Dort dominieren die Lautesten, die Provokantesten, die Emotionalsten. Und wir befürchten: Wer nicht mitspielt, verliert.

Wer die junge Generation erreichen will, kommt an TikTok und Insta nicht vorbei. Die AfD macht es vor, Trump macht es vor – sie nutzen die Plattform nicht nur, sie dominieren sie. Nicht mit langen Reden, sondern mit zugespitzten Clips, die genau das bedienen, was die Algorithmen belohnen: Emotionen, Provokationen, klare Botschaften.

Es bringt wohl nichts, die Nase zu rümpfen. Wer die Debatte den Populisten überlässt, verliert sie. Also ja, Lars und auch ich haben unsere Meinung geändert: Politikerinnen und Politiker müssen auf TikTok sein – aber nicht als verzweifelte Nachahmer, sondern mit klugen, authentischen Formaten, die nicht nur Aufmerksamkeit erregen, sondern auch überzeugen. Ob das der Markus in Lederhosen beim Wurstessen tut, stelle ich allerdings in Frage.

Was tun?

Und doch sind nicht nur Politiker und demokratische Parteien gefragt. Die etablierten Medien müssen aufhören, sich moralisch überlegen zu fühlen, sie müssen raus aus ihren Verlagsgebäuden und Rundfunkanstalten. Demokratische Journalistinnen und Journalisten dürfen auch emotional sein und zuspitzen – ohne zu lügen und zu fälschen, sich auf das Niveau der Populisten herabzulassen und die demokratischen Werte zu verraten.

Wir brauchen eine Gegenoffensive in den sozialen Medien. Unabhängige Newsrooms, kritische Influencer, kreative Formate – alles ist möglich. Aber es braucht Geld, Mut und eine Strategie, die nicht nur auf „Qualitätsjournalismus“ setzt, sondern auch auf Reichweite. Wer die Algorithmen nicht versteht, wird von ihnen gefressen.

Bildung, Bildung, Bildung. Es klingt abgedroschen, aber es ist wahr: Schulen müssen Medienkompetenz lehren. Eltern müssen mit ihren Kindern über Fake News sprechen. Und wir alle müssen lernen, nicht nur zu konsumieren, sondern auch zu hinterfragen.

Aber heute? Heute bleibt nur die Erkenntnis: Die Demokratie wird nicht in Parlamenten und Redaktionsstuben verteidigt, sondern in den Timelines, auf den Straßen und in den Köpfen der Menschen. Und wenn wir nicht aufpassen, gewinnen am Ende die, die am lautesten brüllen.

Und wie steht es in Deutschland?

Lars bleibt – trotz aller Kritik – optimistischer als ich, wenn es um Deutschland geht. Während ich die Parallelen zu den USA und die wachsende Macht rechtspopulistischer Strömungen in den sozialen Medien mit Sorge sehe, zieht er eine klare Trennlinie: „Bei aller Kritik, die ich persönlich auch an Personen wie Söder, Merz, Lindemann und so weiter habe, ist es in Deutschland schon anders. Ich glaube, dass derzeit, zumindest bei den demokratischen Parteien, schon Konsens ist, mal Finanzierung und so was alles beiseite, dass es da schon Konsens gibt, dass es eine unabhängige und kritische mediale Öffentlichkeit braucht.“

Sein Argument: In Deutschland gibt es (noch) eine breite Übereinkunft darüber, dass freie Medien essenziell sind. Doch – und das ist der Knackpunkt – diese Übereinkunft ist kein Naturgesetz. Sie steht unter Druck: durch Social-Media-Algorithmen, die Extrempositionen belohnen; durch eine junge Generation, die sich zunehmend in Filterblasen informiert; und (nicht nur) durch Rechtsextremisten und Demokratiefeinde, die (wie in den USA) lernen, wie man diese Mechanismen für sich nutzt. Lars’ Optimismus ist sicher kein Freibrief für Entwarnung.

Lars hat recht, dass Deutschland (noch) nicht die USA ist. Aber die Weichen werden jetzt gestellt. Die Frage ist, wie es Politikerinnen und Politikern gelingt, präsent zu sein, ohne sich den Algorithmen und der Logik der Empörung zu unterwerfen. Und ob uns das gelingt, wird entscheiden, ob Lars’ Optimismus Bestand hat – oder ob wir in fünf Jahren sagen müssen: „Damals, 2025, war es eigentlich schon zu spät.“ Ich bin da bei Michel Friedman: „Der Zeitstrahl ist kurz, es wird verdammt ernst – und es fehlt vielen in der Politik an der notwendigen Ernsthaftigkeit.“ Hape Kerkeling sagte Hurz, ich sage nur Wurst …

Politik, Medienmacht und Social Media: Lehren aus den USA für Deutschland #9vor9 – Die Digitalthemen der Woche

In dieser Episode sprechen wir über die aktuellen Entwicklungen rund um Donald Trump, den kurzzeitigen Rauswurf von Jimmy Kimmel und die wachsende Macht der sozialen Medien. Wir diskutieren, wie Fake News entstehen, warum Late-Night-Shows heute mehr über TikTok und YouTube wirken als über klassische TV-Quoten – und ziehen Parallelen nach Deutschland. Welche Rolle spielen Algorithmen, wie geht Politik hierzulande mit diesen Mechanismen um, und was bedeutet das für die Demokratie?

„The Independent Desk“

Im Podcast haben Lars und ich auch über die Idee eines „The Independent Desk“ gesprochen – ein fiktives, aber faszinierendes Szenario, in dem sich kritische Late-Night-Hosts wie Jimmy Kimmel oder Stephen Colbert zusammentun, um einen unabhängigen Newsroom zu gründen. Ein Ort, an dem Journalismus frei von Konzerninteressen oder politischer Einflussnahme betrieben wird, direkt für die Zuschauerinnen und Zuschauer, ohne Filter der traditionellen Medien oder Social-Media-Algorithmen.

Klingt utopisch? Ist es auch – zumindest aktuell. Denn während die Idee verlockend ist (und sogar kurz für Panik bei den etablierten Sendern sorgte, als ein gut gemachter Fake-News-Artikel die Runde machte), scheitert sie an zwei zentralen Problemen: Erstens an der Finanzierung – unabhängiger Journalismus braucht Ressourcen, und die kommen nicht von allein. Und zweitens an der Reichweite: Selbst das beste Format nützt nichts, wenn es niemand sieht, weil die Algorithmen der großen Plattformen es einfach ignorieren oder aktiv unterdrücken.

Unser Fazit: Theoretisch wäre so ein Projekt möglich, sogar notwendig. Aber solange die Macht über die Verbreitung von Inhalten bei ein paar Tech-Konzernen und ihren undurchsichtigen Algorithmen liegt, bleibt es ein Traum – oder ein Experiment für eine kleine, engagierte Nische. Die eigentliche Frage ist also nicht, ob es so etwas geben könnte, sondern wie wir es schaffen, dass es auch gehört wird.


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Eine Antwort zu „Wenn Algorithmen Politik bestimmen: USA, Deutschland und die Eskalation im Netz”.

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