Sind soziale Medien zum Scheitern verurteilt? Sind sie immer toxisch, vergiftet? Darüber sprechen Lars und ich bei #9vor9. Und natürlich kommen wir nicht am neuesten heißen Social Media-Sch…ß vorbei. Anlass war die jüngste Nutzerflucht von X (ehemals Twitter), ein hoch gehypter X-odus zu Plattformen wie Bluesky und Threads. Besonders Bluesky hat sich den Titel heißester Social Media-Sch..ß der Woche verdient.
Die Zahlen: Nach der US-Wahl verließen über 281.600 Nutzer die Plattform X. Gleichzeitig verzeichnete Bluesky einen Zuwachs von einer Million neuer Nutzer innerhalb einer Woche. Bluesky hat demnach jetzt über 20 Millionen Nutzer. Um es aber einzuordnen: Facebook soll 3,07 Milliarden monatlich aktive Nutzerinnen und Nutzer haben, Instagram 2 Milliarden Nutzer und TikTok soll bis Ende 2024 auf 1,8 Milliarden monatliche User wachsen. Sowohl Bluesky als auch das alternative soziale Netzwerk Mastodon mit 15 Millionen Nutzerinnen und Nutzern spielen in einer ganz anderen Klasse.
Threads, die „neue“ Mikroblogging-Plattform von Meta, soll immerhin 275 Millionen monatlich aktive User haben. Und X? Die Nutzerzahlen von X bleiben auch Ende 2024 ein Mysterium. Während das Unternehmen selbst von 237,8 Millionen täglich aktiven Nutzern spricht, zeichnen unabhängige Analysen ein deutlich bescheideneres Bild: Sensor Tower beziffert die tägliche Nutzerschaft auf 157-162 Millionen, Business of Apps nennt 220 Millionen aktive User pro Tag.
Genug der Zahlenspiele: Halten wir fest, dass die Musik, besser die Nutzerinnen und Nutzer in der Masse, nicht auf Bluesky, Mastodon oder auch Threads sind. Der Markt für Kurznachrichtendienste und Microblogging ist zerfasert, was Informationsjunkies wie mir gehörig auf die Nerven geht. Auf X treiben sich neben Rechtspopulisten (leider) noch viele Politikerinnen und Politiker und die Medienblase herum. Und ja, es gibt auch noch normale Leute dort; jedoch sollten die von einer solchen Plattform verschwinden und sich eine neue Heimat suchen. Natürlich schwierig, angesichts der angesprochenen Fragmentierung.
Teile der Medienblase scheinen unterdessen rüber nach Bluesky zu machen, weil es Twitter „zu seinen besten Zeiten“ ähneln soll. Mastodon ist eine starke Techie- und Nerd-Community, auf der sich leider viele gegen Neuankömmlinge wehren und sich mit Händen und Füßen dagegen sträuben, dass es ein aktiveres, politisches Gegengewicht zu den kommerziellen Plattformen wird.
Jenseits des Hypes, der von vielen Medienschaffenden befeuert wird, ist die Euphorie über die neue Plattform Bluesky bereits etwas getrübt. Mit dem Zuwachs an Usern kam auch der Zuwachs an toxischen Inhalten. Bluesky meldete kürzlich 42.000 Nutzerbeschwerden innerhalb von 24 Stunden. Mit nur 20 Mitarbeitern versucht Bluesky, durchschnittlich 3.000 Beschwerden pro Stunde zu bearbeiten – ein nahezu aussichtsloses Unterfangen.
Das Problem Content Moderation liegt tiefer als nur in der jeweiligen Plattform. Eine Umfrage zeigt, dass TikTok mit 39 % als toxischste Plattform in Deutschland gilt, gefolgt von Facebook mit 25 % und Instagram sowie X mit je etwa 12-13 %. Die meistgenutzten Plattformen werden gleichzeitig auch als die problematischsten empfunden. Die Toxizität sozialer Medien zeigt sich in verschiedenen Formen: von Hassrede und Cybermobbing bis hin zur Verbreitung von Falschinformationen. Die Algorithmen der Plattformen befeuern toxische Inhalte noch zusätzlich, da diese mehr Engagement erzeugen.
EU-Regulierungen schreiben bereits vor, dass terroristische Inhalte innerhalb einer Stunde vom Netz genommen werden müssen und gehen generell gegen Hassrede vor. Doch kann die EU diese Regeln durchsetzen? Mit Blick auf die Trump-Administration sind Zweifel angebracht, und der designierte Vize-Präsident J.D. Vance kündigte bereits Konsequenzen an, falls die EU gegen X, die Plattform seines Buddies Elon Musk, vorgeht. Wir werden sehen, wie es weitergeht.
Was auch tun? Ganz aufhören? Ein Sascha Pallenberg hat gerade Facebook und Threads wieder den Rücken gekehrt, da sich Facebook zu einer reinen Linkablage entwickelt, während Threads von Click- und Engagement-Baitern sowie Instagram-Influencern dominiert wird. Er empfiehlt Mastodon und Bluesky. Aber gut, Sascha ist ja auch ein Tech-Nerd.
Jenseits der bevorzugten Plattform empfehlen Experten als Schutz vor toxischen Auswirkungen sozialer Medien mehrere Strategien: Strikte Zeitlimits für die Social Media-Nutzung setzen, die Privatsphäre-Einstellungen optimieren, toxische Accounts konsequent blockieren und Hassmeldungen melden. Zudem sollten Nutzer ihre „Nachrichtenkompetenz“ verbessern und sich darüber im Klaren sein, dass die Algorithmen der Plattformen toxische Inhalte verstärken. Daher ist es wichtig, sich dieser Mechanismen bewusst zu sein und aktiv gegenzusteuern.
Ein Bündel an Maßnahmen ist aus unserer Sicht notwendig, um Social Media erträglich zu halten und toxische Inhalte einzudämmen: Wir brauchen stringente Content-Moderation durch die Plattformen, die EU muss die Regeln konsequent durchsetzen, auch gegen den Widerstand der Trump-Administration, und Nutzerinnen und Nutzer jedweden Alters müssen laufend weitergebildet werden. Die Lösung liegt weniger in der Wahl der „richtigen“ Plattform, sondern in einem bewussteren Umgang mit sozialen Medien generell.
Zum Abschluss noch ein überraschendes Ergebnis: Eine aktuelle Studie der Otto Brenner Stiftung zeigt, dass selbst die vieldiskutierte Dominanz der AfD auf TikTok größtenteils eine Filterblase ist. Die Partei erreicht dort hauptsächlich ihre eigenen Anhänger – ein Muster, das sich durch alle sozialen Medien zieht. Wir bespaßen unsere Blase in den sozialen Medien. Im Fall der AfD auf TikTok sorgen viele Medien mit ihren Berichten dafür, dass sie mehr Aufmerksamkeit bekommen. Einfach mal ignorieren-


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