In dieser Folge des Podcasts #9vor9 begrüßen Lars und mich den Blogger Thomas Gigold, um über die Entwicklung der Blogosphäre, persönliches Publizieren und die Zukunft unabhängiger Online-Präsenzen zu sprechen. Gigold, der seit 2001 aktiv bloggt und mit dem „UberBlogr“-Webring eine Initiative zur Vernetzung privater Blogs ins Leben gerufen hat, teilt mit uns seine Erfahrungen und Einschätzungen zu Blogs, Social Media, dem Fediverse und der digitalen Kommunikationslandschaft.
Mit dem „UberBlogr“-Webring versucht Thomas, die Sichtbarkeit privater Blogs zu erhöhen und Blogger miteinander zu vernetzen. „Da draußen gibt es garantiert coole Blogs, die selbst ich, der irgendwie seit 20 Jahren in dieser Sphäre rumhängt, nicht kenne“, sagt er über seine Motivation. Die größte Herausforderung für private Blogger sieht er in der Auffindbarkeit: „Wenn ich den Traffic von Suchmaschinen vor 20 Jahren, vor 10 Jahren und heute vergleiche – das geht gegen Null, einfach weil diese ganzen Reiseverkäufer und Shopping- und SEO-Optimierer sich alle vor dich geschoben haben.“ Der Webring, der mittlerweile etwa 180 Blogs umfasst, soll diesem Problem etwas entgegenwirken.
Blogger-Urgestein
Thomas begleitet die deutsche Blogosphäre von Anfang an und hat seine Wurzeln noch in der Bildschirmtext-Ära. „Ich habe angefangen, für ein paar Freunde Tagebuch ins Internet zu klöppeln, und Ende 2000 habe ich dann Blogger.com und Manila gefunden“, erzählt er über seine Anfänge. Interessant ist sein beruflicher Werdegang, der eng mit seiner Bloggertätigkeit verknüpft ist: „Ich habe meinen ersten Agenturjob irgendwie übers Bloggen über eine Mitbloggerin gefunden. Ich habe dann 2005 für BMW angefangen, diverse Sachen zu bloggen und habe mich darüber selbstständig gemacht.“ Heute bloggt er nur noch privat und genießt die damit verbundene Freiheit.
Unternehmensblogs sind out (leider)
Wir haben in unserem Gespräch auch über Unternehmensblogs gesprochen, ein Thema, das ich ja auch lange Jahre begleitet habe als Autor der IBM Think Blogs oder Blue Blogs, des CIO-Kurators anderer Blogs, die im Unternehmenskontext entstanden und wieder verschwunden sind. Thomas und Lars, beide im Agentur-Business unterwegs, betonen, dass die Attraktivität von Blogs für Unternehmen abgenommen hat, da sich die Kommunikation jetzt schon länger auf soziale Medien verlagert hat. „Früher waren Blogs für Unternehmen eine Möglichkeit, authentische Kommunikation zu betreiben und das Publikum auf die Seite zu holen. Heute ist das nicht mehr nötig, da man sein Publikum auf Plattformen wie TikTok oder Meta findet,“ so Thomas.
Als Facebook und Twitter Blogs „ersetzten“
Doch auch in der privaten Nutzung hat es zeitweise einen Prozess weg von Blogs gegeben. Mit dem Aufkommen von Plattformen wie Facebook und Twitter verlagerte sich die Kommunikation weg von Blogs und persönlichen Websites. „Als Twitter dann auftauchte, gingen bei mir tatsächlich auch die Beiträge zurück, weil man dort einfach publiziert hat, micro-bloggte“, erklärt Thomas.
Doch nun könnte es eine Renaissance der Blogs und eigenen Websites geben: „Wir stehen jetzt, so glaube ich, schon an so einer Schwelle, wo sich alle wieder so ein bisschen umgucken und sagen: Wenn jetzt TikTok aus den USA verschwindet, wenn jetzt Tech-Milliardäre quasi hier ihre eigenen Regeln versuchen durchzusetzen und ich für mich Facebook und Co. kein Safe Space mehr ist – was mache ich denn dann?“ Es gibt derzeit eine Bewegung, sich von den Plattformen, die bis auf TikTok alle aus den USA kommen, unabhängiger zu machen. „Ich glaube, es gibt ein gewisses Revival, weil viele sagen: ‚Ich will das nicht mehr auf Facebook packen, sondern es soll mir gehören.’“
Meine Inhalte sollen mir gehören
Diese Entwicklung könnte dazu führen, dass Unternehmen und Privatpersonen wieder stärker auf eigene Plattformen setzen, um Kontrolle über ihre Inhalte zu behalten. „Längere Texte packe ich jetzt einfach mal auf meine persönliche Webseite und gucke, was damit passiert. Statt auf X sinnlos mit Rechten zu diskutieren, diskutiere ich einfach Gehaltvolles auf meinem Blog oder setze irgendwie ein kleines eigenes Forum auf oder gehe ins Fediverse, das ja nerdiger, aber eben auch kuscheliger ist.“
Natürlich haben wir auch über soziale und asoziale Medien gesprochen. Wie Thomas verstehe ich auch nicht den Hype, der um Bluesky gemacht wurde. Bluesky ist wieder ein kommerzielles Unternehmen, das irgendwann Geld verdienen muss. Das Fediverse wäre sicher die nicht-kommerzielle Alternative, aber steht sich oft selbst im Wege und hat noch nicht die Mitglieder und Inhalte, die mehr Leute interessieren und rüberziehen würden. Und ich teile Thomas‘ Kommentar zum Fediverse: „Ich gönne dem Fediwurst jeden Erfolg, allein schon aus der Historie, aus der ich komme, weil ich irgendwie sehe, dass das Web 2.0 uns unheimlich geholfen hat.“ Ach ja, das Web 2.0 … alles nur ein Hype von Cyber Junkies?
Doch leider bleiben die Älteren auf Facebook, weil es dort die Gruppe gibt, die sich über das lokale Geschehen im Ortsteil oder über Gartenpflege austauscht – und weil gefühlt alle anderen auch da sind. Auch ich poste und verlinke meine Blogbeiträge dort bewusst, um Freunde zu erreichen, die sonst nicht darauf aufmerksam werden würden.
Auf normales Level von Dopamin kommen
Zum Ende unseres Gespräches bringt es Thomas auf den Punkt: „Am Ende müssen wir mal wieder durchatmen und auf einen Level an Dopamin kommen, der normal ist.“ Und wir sind uns einig, dass wir in unserer Welt voller Aufregung digitale Rückzugsräume mit einer gesitteten Diskussionskultur schaffen sollten. Das können eben Blogs, Foren, Gruppen oder der Austausch im dezentralen Fediverse sein. Der „UberBlogr“-Webring ist auf jeden Fall ein Beispiel, wie man Vernetzung innerhalb der Bloggerszene fördert und zum Austausch anregt.
Wir wollen weitere Bloggerinnen und Blogger vorstellen
Lars und ich danken Thomas für den Besuch. Wir planen, weitere Bloggerinnen und Blogger zu #9vor9 einzuladen, um mit ihnen über ihre Motivation,. Blogs, Podcasts oder Newsletter zu sprechen. Wer hier Vorschläge hat oder auch selbst bei uns vorbeischauen möchte, kann sich gerne bei uns melden.


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