Ich habe noch immer den Xing-Newsletter „Internet + Kommunikation“ abonniert, weil er mir regelmäßig interessante Beiträge liefert, die ich sonst verpassen würde. Am Ende des Newsletters gibt es immer einen Lesetipp. Am 2. Juli 2025 war es „Erfahren, aber digital abgehängt? Weshalb Vorurteile gefährlich sind und wir Silver Worker dringend brauchen“ von Thomas Kindler. Als älterer Arbeitnehmer hat mich das natürlich interessiert.
Laut Kindler sind ältere Fachkräfte nicht „digital abgehängt“. Er bezeichnet die Generation 55+ als „Superpower“. Diese Gruppe hat nicht nur tiefgreifende Digitalisierungserfahrung, sondern bringt auch Flexibilität, umfassende Berufserfahrung und hohe Lernmotivation mit. Viele aus dieser Altersgruppe verfügen laut Kindler über beeindruckende Resilienz und Innovationskraft, die Unternehmen angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels dringend benötigen.
Ganz so optimistisch sehe ich die Situation nicht. Wie in allen Generationen gibt es unterschiedliche Typen von Menschen, wie sehr prägnant in diesem Beitrag von Sofie Czilwik dargelegt wird. Was ich jedoch über die Jahre hinweg beobachtet habe, ist, dass ältere Mitarbeitende oft nicht wertgeschätzt werden. Es kommt vor, dass Geschäftsführer abfällige Bemerkungen über ältere Mitarbeiter machen, die angeblich den Fortschritt des Unternehmens behindern. Bei Kosteneinsparungen oder Personalabbau sind sie oft die Ersten, die gehen müssen, oft mit einer Abfindung oder Vorruhestandsregelung.
Nach einigen Monaten stellt das Unternehmen dann fest, dass es beispielsweise die Cobol-Programmierer doch noch braucht, weil niemand sonst die Systeme kennt. Dann werden sie – wenn sie noch wollen – teuer auf Zeit eingekauft oder oder zeigen dem Unternehmen den Stinkefinger.
Es gibt viele ältere Mitarbeitende, die motiviert und lernwillig sind. Aber welche Chancen haben sie noch? Nach meiner Beobachtung werden sie bei der Besetzung von Führungspositionen oft übergangen. Unternehmen und HR-Abteilungen schweigen darüber. Altersdiskriminierung gibt es offiziell nicht.
Die Betroffenen reden nicht darüber. Wer Ende 50 ist, hält still, um keine weiteren Benachteiligungen zu riskieren und in Ruhe in die Rente zu gehen. Fair ist das nicht. Die schönen Worte über die Wichtigkeit älterer Mitarbeitender verhallen schnell angesichts der Realität in den Unternehmen.
Einen neuen Job auf dem freien Markt zu finden, ist für ältere Arbeitnehmer schwierig. Egal wie gut die Qualifikation ist, sie werden oft nicht berücksichtigt, weil sie als zu alt und zu teuer gelten. So verschwinden die Babyboomer langsam aus den Unternehmen in den Ruhestand oder Unruhestand, wo sie hoffentlich noch ihre Erfahrungen einbringen und ihre Interessen leben können. Wer als erfahrener Mitarbeitender auf einen fairen Platz hofft, dem bleibt oft nur eines: sich treu bleiben, das Spiel durchschauen – und mit Haltung Abschied nehmen.


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