Hört die Signale: Wir brauchen den Betriebsrat für Internet!?

Gerade bin ich auf 2 sehr interessante Essays im Wallstreet Journal gestoßen. Unter dem Titel The Great Privacy Debate äußern sich dort kompetente Autoren zum Thema Datenschutz und Datzensicherheit im Netz, ein Thema, das mich in den letzten Monaten sehr stark umtreibt. Deshalb hier einige persönliche Gedanken:

Brauchen wir analog zum Unternehmen auch im öffentlichen Netz eine Art von Betriebsrat, der sich dort um die Rechte der „Arbeitnehmer“ bzw.. Internet-Nutzer kümmert? Meinen amerikanischen Freunde und Kollegen und auch vielen Arbeitgebern treibt es jetzt sicher bei dieser persönlichen Aussage die Zornesröte ins Gesicht. Jedoch glaube ich, daß es auch im Netz „Betriebsvereinbarungen“ geben muß, wie gewisse Dinge gerade im Bereich des Datenschutzes gehandhabt werden. Führe ich in Unternehmen heute Lösungen ein, die den Arbeitnehmer betreffen bzw. wo persönliche Leistung und Daten des Arbeitnehmers betroffen sind, ist es absolut empfehlenswert, eine Betriebsvereinbarung zu treffen. Dies gilt für die private Nutzung von E-Mail ebenso wie für die Einführung von Social Software. Natürlich ist es manchmal mühsam, solche Vereinbarungen zu treffen, doch es gibt auch genug Beispiele, wo es durch gesunden Menschenverstand zu Lösungen kommt, die für beide Seiten – das Unternehmen und den Arbeitgeber – sinnvoll sind und die auch die „Leistungsfähigkeit“ des Unternehmens nicht beeinträchigen.

Jim Harper schreibt in seinem Essay, daß viele Anwender schockiert sind, wenn sie bemerken, daß ihre persönliche Daten oft der Treibstoff sind, der die freien Angebote im Netz ermöglicht:

Free content won’t go away if consumers decline to allow personalization, but there will be less of it.

Das Sammeln von persönlichen Daten und daraus ableitend das Unterbreiten personalisierter Werbung und Angebote auf Webseiten ermöglicht sicherlich viele freie Angebote. Harper macht es an seinem eigenem Beispiel fest. Seine Web Site WashingtonWatch.com erfährt dann funktionale Erweiterungen, wenn er sich diese finanziell leisten kann. Und Finanzierung bedeutet sehr oft Finanzierung über Werbemaßnahmen. Da stecken Bezahlmodelle wie Kachingle oder Flattr noch viel zu sehr in den Anfängen und es ist auch noch unklar, wieviel solche Systeme monetär beitragen könnten. Ich bin dort übrigens durchaus optimistisch, wenn das Bewußtsein im Netz geschaffen wird, wertvolle Inhalte auch über solche transparenten, nachvollziehbaren Wege zu honorieren.

Und das Thema Transparenz ist für mich auch ganz entscheidend. Enno Park behandelt in einem Posting, wie ein Facebook-Killer von Google aussehen könnte und schreibt:

Wer versuchen möchte, das menschliche Beziehungsgeflecht möglichst realistisch abzubilden, sollte also tunlichst auf einen solchen Rahmen verzichten und scheinbar unverzahnte Dienste zur Kommunikation und Veröffentlichung anbieten. Für Google würde es schließlich völlig reichen, wenn die Fäden irgendwo in ihren Datenbanken zusammenlaufen.

Und genau der letzte Satz stört mich ungemein: scheinbar unverzahnte Dienste und Datenfäden, die irgendwo zusammenlaufen. Genau deshalb mißtraue ich Google und Facebook, die sich einerseits scheinheilig als „Gut-Unternehmen“ darstellen, andererseits aber Daten sammeln und nutzen – und dies oft intransparent und ohne vorherige Erlaubnis. Genau an solchen Stellen sehe ich die Aufgabe des „Internet-Betriebsrats“, der im Gegensatz zu einer Enquete-Kommission latent tagen und überwachen sollte. Es gehört eine gesetzliche Verpflichtung her, die Verwendung von Daten transparent offen zu legen und explizit die Genehmigung der Internet-Nutzer einzuholen – und nicht einfach mal in oft typisch amerikanischer Manier zu sammeln und zu verwerten. Ich persönlich möchte einige Dienste gar nicht missen, die mir Empfehlungen aufgrund meiner Daten oder meines Nutzungsverhaltens liefern. Ich möchte nur darüber informiert sein, warum und wie diese Empfehlungen zustande kommen.

Nicholas Carr stellt generell in Frage, daß heute nachvollzogen und kontrolliert werden kann, wie welche Empfehlungen zustande kommen:

This tradeoff has always been part of our lives as consumers and citizens. But now, thanks to the Net, we’re losing our ability to understand and control those tradeoffs—to choose, consciously and with awareness of the consequences, what information about ourselves we disclose and what we don’t. Incredibly detailed data about our lives are being harvested from online databases without our awareness, much less our approval.

Vollkommen klar und unbestritten ist für mich auch, daß die Internet-Nutzer auch eine persönliche Verantwortung für ihr Verhalten im Netz haben. Sie sind dafür verantwortlich, welche Daten sie wo freigeben und haben dann auch gegebenenfalls die Konsequenzen zu tragen. Was jedoch derzeit bei weitem nicht gut genug ausgeprägt ist, ist ein Aufklärungs- und Schulungssystem, daß die Internet-Nutzer trainiert. Hierzu gehören Online-Angebote ebenso wie verbindliches Medientraining in der Schule bis zu VHS-Kursen und Angeboten für ältere Mitbürger sowie Trainingsangeboten in Unternehmen. Und diese Angebote müssen jetzt und nicht erst übermorgen geschaffen werden. Ich habe den Eindrcuk, daß wieder viel zu viel Wasser den Rhein herunterfließen wird, bis entsprechende Ausbildungsangebote in den Schulungskanon verankert werden. Und diese Angebote müssen dann zudem noch ständig angepasst werden, eine Anfforderung, die sicher typisch für normale Lehrpläne in Schulen ist.

Im Gegensatz zu den Schirrmachers und Carrs dieser Welt glaube ich weiter, daß das Netz mehr Chancen als Risiken bietet. Da mag mein ganz persönliches Nutzenerlebnis im Vordergrund stehen. Folgendes Carr-Statement bringt seine Zweifel auf den Punkt:

The line between personalization and manipulation is a fuzzy one …

Ja, das mag richtig sein. Und das schreibe ich als jemand, der Marketing beruflich „macht“ und auch versucht Interessenten und Käufer über das Netz zu gewinnen. Doch denke ich, daß ein ausgebildeter Internet-Nutzer deutlich mehr Chancen hat, Manipulationsversuchen zu entgehen. Und die Internet-Nutzer und die Privatsphäre des Einzelnen gehören geschützt. Also: Brauchen wir einen Betriebsrat für das Internet?

Ich bin auf Eure Meinung gespannt.

Links:

The Great Privacy Debate – It’s Modern Trade: Web Users Get as Much as They Give (Jim Harper) – Wallstreet Journal

The Great Privacy Debate – Tracking Is an Assault on Liberty, With Real Dangers (Nicholas Carr) – Wallstreet Journal

Posted from Digital naiv – Stefan63’s Blog


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