
Wer nur an Work-Life-Balance denkt und nur vier Tage arbeiten will, der wird nicht wirtschaftlich erfolgreich sein, meint der Fritze Merz. Und sein Generalsekretär Carsten Linnemann setzt noch einen drauf: Die Deutschen arbeiten zu wenig, die Rentner zum Beispiel. Gerade dieses Statement, das dann noch Kanzleramtschef Thorsten Frei verteidigen musste, sorgt für Aufsehen und Kommentare unter meinesgleichen, also denjenigen, die bereits in Rente sind oder bereits in Rente gehen.
Ach ja, es wird viel schwadroniert über die Arbeitsmoral. Viele Ältere im Arbeitsleben monieren, dass „die Jungen“ schon zu Beginn ihres Arbeitslebens nur noch an Work-Life-Balance denken. Wie oft habe ich das inzwischen in Gesprächen gehört? Nun dreschen also Linnemann und Frei auf die Rentner ein, um den Arbeits- und Fachkräftemangel auszugleichen? Mir ist nicht klar, was den Herren vorschwebt. Wollen sie, dass die Rentner an der Kasse sitzen, in Restaurants bedienen oder an der Theke beim Metzger stehen? Genau in diesen Jobs – so höre ich hier lokal vor Ort in Darmstadt – fehlen massiv Arbeitskräfte.
Rentner an die Kasse und Wursttheke?
Wollen die Herren von der CDU also US-amerikanische Verhältnisse, wo viele Rentnerinnen und Rentner noch bis ins höchste Alter zwei oder drei Aushilfsjobs gleichzeitig ausführen, einfach auch um über die Runden zu kommen? Ich habe genug Bekannte drüben, die genau das tun müssen. Wohlgemerkt: Das sind in der Regel keine hochqualifizierten Tätigkeiten.
Henning Uhle plädiert dafür, dass wir wenigstens wieder so arbeiten, dass wir mit anderen Ländern mithalten können. Und Horst Schulte schreibt in seinem Blog: „Ich hätte mir gewünscht, als anerkannter, geschätzter Mitarbeiter aus dem Dienst zu scheiden, wenn man das so sagen kann. Stattdessen weiß ich: Sie waren froh, als sie mich los waren.“ Er macht korrekterweise darauf aufmerksam, dass viel geschehen muss, damit wir unseren Lebensstandard in Deutschland halten können. Nur wer von den Vielen will schon bei sich anfangen und traut sich an wirkliche Reformen heran?
Gefeuert, weil zu teuer
„Die waren froh, als sie mich los waren“, so Horst. In meinem Arbeitsleben konnte ich immer wieder verfolgen, wie „angeblich teure“ ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlassen wurden. Manchmal wurden sie auch wieder für noch teureres Geld zurückgeholt, weil sie Skills hatten, die sonst nicht mehr existierten. Diejenigen, die Kosten- und Personal einsparen wollten und auf Befehl mussten, haben oft nicht weit genug gedacht, wen sie denn da „abbauen“.
Wer will die Alten schon? Wer gibt ihnen eine Chance?
Doch ich beobachte auch das, was man wohl neudeutsch als „Ageism“ bezeichnet. Dabei gehe ich nicht mal so weit, von Altersdiskriminierung zu sprechen. Aber ich konnte und kann rund um mich herum beobachten, dass ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oft gar nicht für Führungspositionen in Betracht gezogen wurden oder gar nicht die Chance erhielten, sich um eine solche Stelle zu bewerben. Weil sie zu alt sind oder weil es ihnen nicht zugetraut wird, weil sie nicht mehr genug leisten (können)?
Heike Vowinkel arbeitet das in ihrem Beitrag auf T-Online mit Bezug auf Stellenausschreibungen gut auf. Wer stellt schon über 55-Jährige ein? Auch das sind Muster, die es im Unternehmensalltag gibt. Liebe Personalerinnen und Personaler, liebe Chefinnen und Chefs, denkt mal darüber nach! Wenn der Chef nur über die alten Säcke lästert, motiviert das nicht wirklich, länger oder härter zu arbeiten.
Die Alten im Ehrenamt
Noch eine Randbemerkung. Oft übersehen wird, wie viele Ältere im Ehrenamt tätig sind. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass viele Veranstaltungen in Vereinen nicht ohne die Rentner stattfinden könnten, die ehrenamtlich den Laden schmeißen. Ich weiß von Bekannten, die beispielsweise in der Tafel helfen. Viele ältere Menschen sind bereit, ihre Erfahrungen weiterzugeben, sich für die Gemeinschaft, für Weiterbildung und soziale Zwecke zu engagieren. Auch das sollte man nicht vergessen. Ich würde das auch tun, sobald ich im Unruhestand bin. Wäre denn die CDU bereit, sie für einige dieser Tätigkeiten wie soziale Arbeit oder Weiterbildung auch fair zu entlohnen?
Gunnar Sohn zitiert Guido Zander, „den Praktiker im Maschinenraum der deutschen Arbeitszeitlogik“: „Statt ideologischem Dauerfeuer brauche es betriebliche Realität, die zwischen Vollzeit, Teilzeit, Lebensphase und Unternehmenskultur vermittelt.“ Zudem stimmt die postulierte Gleichung ‚Erhöhung der Arbeitszeit = Steigerung der Produktivität‘ aus dem Fließbandzeitalter, wie Stefan Rose korrekt bemerkt. Wir müssen die Situation differenziert anschauen, und das tun die Herren Merz, Linnemann und Frei nicht. Sie scheren erst einmal über einen Kamm, und das ist Unsinn. Vielleicht schadet es sogar der CDU, denn in bestimmten Altersgruppen haben sie ja durchaus Stammwähler.
Hört auf, über einen Kamm zu scheren
Wer 40 Jahre und mehr körperlich hart gearbeitet hat, der verdient seine Rente. Wer sich Jahrzehnte am Schreibtisch die Nerven geschaukelt hat, den werden wir nicht mehr zum Leistungsträger machen. Ob er durch längeres Arbeiten das Bruttosozialprodukt steigern würde? Aber ich lasse mal die Sprüche und plädiere für Augenmaß und auch für mehr Respekt. Der Spruch „Die Rentner arbeiten zu wenig“ bringt gar nichts, ist mal wieder reinster Populismus. Das gilt übrigens genauso, wenn pauschal die Work-Life-Balance „der Jungen“ angesprochen wird. Die Thematik differenziert zu diskutieren, ist halt schwieriger und nicht so talkshow-resk.
Nachtrag: Eigentlich wollte ich in der Wochenschau noch über die Katastrophe in der Schweiz, den Gletscherabbruch über dem Dorf Blatten, schreiben und auf den erwarteten Hitzesommer hinweisen. Warum? Der Klimawandel und seine Folgen werden hoffentlich eher früher als später wieder oberste Priorität und mehr Aufmerksamkeit erhalten, auch wenn das gerade nicht der Fall ist. Die kommenden Katastrophen – und der Gletscher über Blatten wird nicht der letzte Vorfall dieser Art sein – werden dafür sorgen. Leider.


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