Wenn wir über lokale Medien sprechen, denken viele sofort an die klassische Tageszeitung. Doch wer unseren neuen #9vor9-Podcast hört, begreift schnell: Sandra Russo macht keinen klassischen Lokaljournalismus – sie macht Stadt- und Familienmagazine. Und das ist ein himmelweiter Unterschied. Hier geht es nicht um die Berichterstattung aus dem Stadtparlament, sondern um die ganz pragmatische Frage, was man am Wochenende unternehmen kann oder wo man Nachhilfelehrerinnen und -lehrer in Darmstadt finden kann.
Das Erfolgsgeheimnis dieser Gattung ist so analog wie charmant: Die Magazine sind gedruckte Nachschlagewerke im besten Sinne. Während die digitale Flut an uns vorbeirauscht, liegen Titel wie VorhangAuf oder Fratz überall in Darmstadt aus, danach griffbereit auf dem Couchtisch oder als verlässliche Lektüre auf dem berühmten stillen Örtchen. In Momenten der Ruhe entfalten sie ihre volle Kraft als analoger Anker in der digitalen Informationsflut. Oder: Wer braucht eine App, die ständig piept, wenn er ein liebevoll gestaltetes Heft in den Händen halten kann, das genau weiß, was vor der eigenen Haustür passiert?
Fratz – das Magazin für junge Familien in und um Darmstadt
Ein Herzensprojekt von Sandra ist der Fratz, das Darmstädter Familienmagazin, das fünfmal im Jahr erscheint und sich an Eltern, Großeltern und alle richtet, die mit Kindern zwischen 0 und 14 Jahren zu tun haben. „Wir decken alles ab: von Schwangerschaft über Erziehung bis zu Tipps für den nächsten Familienausflug“, sagt Sandra. „Und wir haben den Vorteil, dass unsere Leserschaft nachwächst: Wenn die Kinder älter werden, kommen neue Eltern mit Babys nach.“ Sandra hat das Heft aus einem Verlag mitgenommen, als dieser die Lust daran verlor, und gibt es seitdem heraus. Eine mutige Rettungsaktion für ein Medium, das für junge Familien in der Region wichtig ist.
VorhangAuf als kuratierter Darmstädter Kulturleitfaden
Parallel dazu arbeitet sie schon lange an VorhangAuf. Das Magazin erscheint seit 1996 – als Stadtmagazin, das sich bewusst nicht als Zeitung versteht, sondern als kuratierter Leitfaden für Kultur, Veranstaltungen und Stadtleben. Zehnmal im Jahr, finanziert allein durch Anzeigen. Es ist für die Generation Ü40 ein Navigator durch das Darmstädter Tag- und Nachtleben, den Dschungel von Veranstaltungen, Theatern, Konzerten, lokaler Kleinkunst und Gastronomie. Hier erfährt man, warum es sich lohnt, das Haus zu verlassen. Es ist auch das Sprachrohr der lokalen Kulturszene und stiftet lokale Identität.
Die Magazine liegen überall in der Stadt aus
Doch wie kommen die Magazine zu den Leserinnen und Lesern? Die Hefte werden nicht wahllos in Briefkästen gestopft, wo sie ungelesen im Altpapier landen. Stattdessen liegen die Hefte an 600 bzw. 900 Stellen in Darmstadt genau dort aus, wo die jeweiligen Zielgruppen sich ohnehin aufhalten – beim Bäcker, im Tennisclub, in der Arztpraxis, im Lieblingscafé und natürlich bei den Anzeigenkunden. Es ist das Prinzip „Mitnahme aus Interesse“. Wer ein Magazin aus dem Ständer zieht, tut dies bewusst. Diese punktgenaue Präsenz im Stadtbild sorgt für eine gute Sichtbarkeit, und oft sind die Hefte schnell vergriffen.
Digital finanziert sich noch nicht
Natürlich verschließt man sich in Darmstadt der Moderne nicht. Die digitale Transformation findet statt, doch sie gleicht eher einem Experimentallabor als einer Goldmine. Beide Magazine sind auf Facebook und Instagram präsent und haben natürlich unter https://fratz-magazin.de und https://vorhang-auf.com ihre Homepage. Sandra macht im Podcast deutlich, dass „digital“ zwar Reichweite bringt – etwa wenn im Dezember nach den Weihnachtsmärkten gesucht wird und die Klickzahlen durch die Decke gehen – aber das große Geld fließt online (noch) nicht.
Es gibt derzeit – so Sandra – schlichtweg kein tragfähiges Einnahmemodell für den lokalen Online-Content, das die Produktionskosten zumindest zu nennenswerten Teilen decken könnte. Ich habe bis heute nicht verstanden, wie man online Geld verdienen soll“, sagt Sandra. Digital ist so ein nettes „Goodie“, ein Service für die Community, aber das Geld, sprich die Werbeeinnahmen, kommen über die gedruckten Ausgaben. Fratz und VorhangAuf nutzen Digital deshalb pragmatisch: als Verlängerung, nicht als Ersatz. Veranstaltungen online, Print als Kurator. Social Media als Verstärker, nicht als Heilsversprechen.
Die Rolle der Stadtmagazine als kultureller Anker
Die beiden Stadtmagazine spielen durchaus eine wichtige Rolle in Darmstadt, helfen jungen Familien mit Informationen mit Lokalbezug oder als Leitfäden durch die Kulturszene der Heiner. Sie stärken die freie Szene, geben Kleinkünstlerinnen und -künstlern Sichtbarkeit und schaffen Orte der Identifikation. Man darf die politische Dimension nicht vergessen. Kultur ist nicht dekorativ. Sie ist identitätsstiftend. Und ja: demokratieunterstützend.
Vielleicht ist genau das der Grund, warum diese Magazine noch existieren. Sie wollen nicht alles. Sie wollen relevant sein – für eine Stadt, für eine Community, für Menschen. Die Zukunft? Unklar. Print wird weniger werden, digital wichtiger. Aber wer glaubt, Stadtmagazine würden einfach verschwinden, unterschätzt ihre Funktion. Oder anders gefragt: Wenn selbst diese Form von Öffentlichkeit stirbt – wer erklärt uns dann noch, was vor unserer Haustür passiert?
Die Rolle von Stadtmagazinen am Beispiel der Darmstädter Fratz & Vorhang Auf | Mit Gast Sandra Russo – #9vor9 – Die Digitalthemen der Woche
Unser #60Sekunden-Kurzvideo zum Gespräch:


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