Zeit zu handeln: Der Einfluss von Hass im Netz auf unsere Demokratie

9vor9 breit

In unserem Video- und Podcast diskutieren Lars und ich die Ergebnisse und Implikationen einer Studie: „Lauter Hass, leiser Rückzug“ ist eine repräsentative Studie*, die 2023 beauftragt und im Februar 2024 veröffentlicht wurde und die Wahrnehmung und den Einfluss von Hass im Internet untersucht. Die Ergebnisse sind erschreckend: Nahezu die Hälfte der Befragten wurde bereits im Netz beleidigt, rund jeder Achte war von Hass direkt betroffen.

Eine gravierende Folge: 57 % der Befragten bekennen sich aus Angst im Netz seltener zur eigenen politischen Meinung. 55 % beteiligen sich weniger an Diskussionen. 53 % formulieren ihre Beiträge bewusst vorsichtiger. Diejenigen die beleidigen und Hass verbreiten, torpedieren so den demokratischen Diskurs und machen „normale Nutzer“ mundtot. Das ist erschreckend und alarmierend.

Jung, weiblich und bei den Grünen engagiert besonders betroffen

Junge Leute zwischen 16 und 24 Jahren sind besonders von Hass getroffen. Mehr als 2/3 der Internetnutzerinnen und -nutzer zwischen 16 und 24 Jahren haben schon Hass im Netz gesehen. Und es trifft politisch aktive Menschen, aber auch Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund (30 %), junge Frauen (30 %) und Menschen mit homosexueller (28 %) oder bisexueller (36 %) Orientierung. 42 % der jungen Frauen erhielten ungefragt Nacktfotos. Jede oder jeder Vierte der Befragten waren mit körperlicher Gewalt und 13 % mit sexualisierter Gewalt konfrontiert.

Nur wenige setzen sich zur Wehr – Dass muss sich ändern

Wurde sich dagegen zur Wehr gesetzt? Nur 5 % haben schon einmal Hass gegen sich selbst bei der Polizei angezeigt. Aber vertrauen die Menschen darauf, dass der Hass im Netz auch wirklich bekämpft wird? Die Skepsis ist groß. In der Studie gaben die Befragten an, dass die Sicherheitsbehörden und Plattformen mehr tun müssen und die Maßnahmen zur Bekämpfung des Internethasses verbessert werden müssen.

Diese Situation muss sich ändern. Hass muss verfolgt werden. Mit dem Digital Services Act sind auf EU-Ebene die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen, dass Hass im Netz einfacher gemeldet und vor allem konsequenter sanktioniert werden kann. Dass Deutschland einmal mehr zu langsam ist, die Anforderungen des Digital Services Acts umzusetzen und lieber wieder einmal Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern zelebriert, ist dabei keine vertrauensbildende Maßnahme.

Plattformen in Verantwortung nehmen

Die große Mehrzahl Befragten fordern auch, dass die Plattformen wesentlich stärker in die Pflicht genommen werden müssen. Aus Sicht der Befragten sind Plattformen wie X (ehemals Twitter), TikTok, Facebook und Instagram besonders häufig Schauplatz von Hass im Netz. 86 % der Befragten finden, dass diese Social-Media-Plattformen mehr Verantwortung übernehmen müssen. 79 % sind der Meinung, dass große Social-Media-Plattformen auch finanzielle Verantwortung für die gesellschaftlichen Schäden durch Hass im Netz tragen sollten. Beides ist sicher notwendig. Außerdem muss die Bevölkerung dringend in der Breite aus- und weitergebildet werden, um durch all diese Maßnahmen gegen Hass erfolgreicher zu sein.

Gerade jungen Leuten Zuversicht vermitteln

Hass konsequent melden und dann bestrafen, die Plattformen in jeder Beziehung in die Pflicht nehmen, bei Nichteinhaltung auch mit drakonischen Strafen, und eine konsequente Aufklärung und Weiterbildung sind auch die Aktionen, die auch wir bei gefordert haben. Gerade die Jungen müssen merken, dass diejenigen, die Hass raus posaunen, nicht durchkommen und sich Zivilcourage lohnt. Diese Nachricht ist noch lange nicht angekommen. Doch jetzt ist genau der Zeitpunkt und die Chance, die Euphorie der großen Demos gegen Rechtsextremismus auch in der Bekämpfung von Hass im Netz zu nutzen.

Es liegt an uns allen, dafür zu sorgen, dass das Netz ein sicherer Ort für alle ist und Vielfalt ein- und hochgehalten wird. Es ist äußerst bedenklich, dass Hass im Netz viele Menschen dazu veranlasst, sich aus dem demokratischen Diskurs zurückzuziehen und ihre Meinungen nicht mehr auszudrücken. Wir müssen die Plattformen und die Behörden dazu drängen, ihren Beitrag zur Lösung dieses Problems zu leisten – und zwar schon heute. Denn die Zukunft unserer Demokratie wird im Netz entschieden, wie Renate Künast korrekt feststellt. Das müssen wir alle inklusive der Politik und der Strafverfolgungsbehörden endlich verstehen und entsprechend handeln.

* Das NETTZ, Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, HateAid und Neue deutsche Medienmacher*innen als Teil des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz (Hrsg.) (2024): Lauter Hass – leiser Rückzug. Wie Hass im Netz den demokratischen Diskurs bedroht. Ergebnisse einer repräsentativen Befragung. Berlin. https://kompetenznetzwerk-hass-im-netz.de/download_lauterhass.php

Die Titelgrafik ist eine Kombination von Screenshots von der oben verlinkten Seite Hass im Netz.


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