Im Podcast #9vor9 diskutieren Lars Basche, Stefan Pfeiffer und Andreas Gebhard, Mitgründer der re:publica, über die kommende Veranstaltung, die zwischen dem 26. und 28. Mai wieder in der Station in Berlin stattfinden wird. Vor allem aber stehen zentrale Themen der digitalen Gesellschaft im Mittelpunkt. Von den Herausforderungen der Pandemie für die re:publica über die vernachlässigte Open-Source-Bewegung bis hin zur schleppenden Digitalisierung der Verwaltung.
Lars und ich kennen Andreas bereits seit 2009, als IBM erstmals als Sponsor und mit Vorträgen an der re:publica teilnahm. Damals kamen einige hundert Teilnehmer in die Kalkscheune, und die re:publica lief mehr oder weniger als Bloggerkonferenz. In den Jahren danach haben wir viele gemeinsame Aktionen umgesetzt – vom Auftritt mit Per Anhalter durch das Enterprise 2.0 auf der Bühne des Friedrichstadt-Palasts über zwei Bustouren mit Bloggern quer durch Deutschland bis hin zum HR Festival mit Orchester, das in einem Seitengebäude der Station Berlin auftrat. Es waren immer spannende Projekte, die viel Spaß gemacht haben. Doch das nur am Rande. Im Fokus unseres Gesprächs standen andere Themen.
Die Geschichte der re:publica in Corona-Zeiten
Besonders beeindruckend: Wie die re:publica sich aus eigener Kraft aus der Corona-Krise befreit hat. Die Pandemie traf auch die re:publica hart. 2020 musste die Veranstaltung nur 50 Tage vor Beginn abgesagt werden. Trotz 1.000 vorbereiteter Programmpunkte stand das Team vor dem Aus. Doch statt aufzugeben, entwickelte Andreas mit seinem Team kreative Lösungen wie lineares Streaming, das bis zu 100.000 Zuschauer erreichte.
Doch eine virtuelle Konferenz ist nicht das Selbstverständnis der re:public-Macherinnen und -Macher: „Wir verstehen uns als Veranstaltung für die digitale Gesellschaft, die sich physisch trifft.“ Geduld und Mut waren angesagt, um durch die schwierige Corona- und Nach-Corona-Zeit zu kommen: „Wir haben uns bewusst gegen Kurzarbeit entschieden und stattdessen neue Formate entwickelt“, erklärt Andreas. Und die „relevanteste digitale Gesellschaftskonferenz in Europa“ kam als Präsenzveranstaltung zurück, und man arbeitet daran, die Altlasten abzutragen.
Andreas sieht ihre Rolle darin, ein breites Spektrum der digitalen Gesellschaft zusammenzubringen. Sie dient als Plattform für den Austausch zwischen Akteuren aus Wirtschaft, Politik, Medien, NGOs, Kunst und Aktivismus. Andreas betont, dass die re:publica nicht nur ein Ort für Diskussionen über digitale Themen ist, sondern auch Impulse für gesellschaftliche Entwicklungen setzt. Die Konferenz hat sich über die Jahre von einem Bloggertreffen zu einer zentralen Plattform für digitale Kultur und Politik entwickelt.
Open Source – eine verpasste Chance
Ein Thema, das Andreas schon vor der re:publica am Herzen liegt, ist das Thema Open Source, und hier wird er emotional. Das Scheitern von Open Source in Europa ist für ihn die „größte persönliche digitale Niederlage“. Er kritisiert, dass öffentliche Gelder nicht konsequent in Public Code investiert werden: „Es ist eine Tragödie, dass kritische Infrastrukturen nicht in öffentlicher Hand sind.“ Die Abhängigkeit von US-amerikanischen Softwareanbietern ist ein Risiko für digitale Souveränität: „Es ist ebenso eine Tragödie, dass wir uns weiterhin von proprietären Lizenzmodellen abhängig machen.“
Andreas hebt hervor, dass Open Source eine Schlüsselrolle für digitale Souveränität spielen könnte, ja müsste. Er fordert mehr politischen Willen und strategische Investitionen, um Open Source stärker zu fördern und langfristig unabhängiger zu werden. Trotz der Bemühungen von Initiativen wie „Public Money, Public Code“ ist die Umsetzung in der öffentlichen Verwaltung eine Randerscheinung.
Die schleppende Digitalisierung der Verwaltung
Auch über die Digitalisierung der Verwaltung haben wir gesprochen. Nicht nur Andreas sieht große Defizite. Mangelnder Veränderungswille und technologisches Mittelmaß sind neben einer scheinbar „angeborenen“ bürokratischen Trägheit die Hauptprobleme. Doch was, wenn man konsequent automatisieren und digitalisieren würde?
„Wenn man eine Verwaltungsdigitalisierung durchführt, dann geschieht das auf Kosten von Millionen Jobs.“ Und Andreas fügt hinzu: „Man muss sich ehrlich machen und überlegen, was mit den Menschen passiert, deren Jobs durch Digitalisierung wegfallen.“ Weiterbildung und neue Arbeitsmodelle sind essenziell, um den Wandel sozial verträglich zu gestalten.
Doch wie viele Plätze würden wirklich wegfallen? Und was ist mit der personellen Lücke, die in den kommenden Jahren durch die anstehende Pensionierungswelle der Baby Boomer entstehen wird? Nach allen Prognosen werden viele Stellen im öffentlichen Dienst wegfallen, die nur durch Digitalisierung und Automatisierung geschlossen werden können. Oder: Die Baby Boomer verlassen die Verwaltung, und wir stehen vor der Frage: Wer übernimmt ihre Aufgaben? Ohne eine umfassende Digitalisierung droht wohl ein Kollaps vieler Verwaltungsprozesse. Langsam genug sind sie ja jetzt schon in der Regel.
Jenseits von Leads: Unternehmen als Partner, die mit gestalten
Ein Thema hatten wir noch: Ein für die re:publica sehr wichtiger Aspekt ist natürlich die Finanzierung, und dabei spielen Partnerschaften mit Unternehmen und Sponsoren eine wichtige Rolle. Doch das ist nicht immer so, wie Andreas und ich aus persönlicher Erfahrung wissen. Wenn Unternehmen die berühmt-berüchtigten Leads auf der re:publica schreiben wollen, gehen sie mit falschen Annahmen zur „relevantesten digitalen Gesellschaftskonferenz in Europa“.
Andreas betont, dass die Zusammenarbeit mit Unternehmen immer auf gemeinsamen Werten basieren muss: „Wir suchen Partner, die unsere Vision einer digitalen Gesellschaft teilen und sich inhaltlich einbringen.“ Deshalb geht Andreas auch über das klassische Sponsoring hinaus. Er bietet an, dass sie aktive Mitgestalter der Konferenz werden.
Dabei sieht er in diesen Partnerschaften klare Vorteile: Unternehmen erhalten Zugang zu einem kritischen und vielfältigen Publikum, während die re:publica finanzielle Stabilität und Raum für innovative Formate gewinnt. Die wirtschaftliche Unterstützung dürfte jedoch niemals die inhaltliche Unabhängigkeit der Veranstaltung gefährden. Diese Balance zwischen Zusammenarbeit und Autonomie ist essenziell, um die re:publica weiterhin als Plattform für gesellschaftlich relevante Debatten zu positionieren.
Wir freuen uns auf Euch und Andreas
Diesen Ansatz muss man sich leisten können und wollen. Die re:publica hat sich vor und jetzt auch wieder nach Corona ihren Platz erobert. Wir, Lars und ich, danken Andreas für den Talk und freuen uns, ihn und viele Bekannte in Berlin zu treffen. Für mich wird es nach Corona und durch eine Pause aufgrund meiner Krankheit wieder die erste re:publica sein. Ich bin sehr gespannt darauf, auch neue Chancen und Möglichkeiten für die kommenden Jahre zu diskutieren.


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