Fediverse: Es knirscht an vielen Ecken, aber wirklich schlimmer als Twitter?

Es knirscht und knarrt noch an vielen Ecken. Ich schreibe über Mastodon und das Fediverse, dass gerade viele Social Media-Interessierte umtreibt.

Es knirscht zwischen Alten und

Einige, die schon lange da sind, beschweren sich über die, die sind, rüber gemacht haben von Twitter, weil sie dem Treiben von Elon Musk und einer weiteren Radikalisierung dort nicht zuschauen wollen. Und die Neuen bringen ihren eigenen Ton mit, vielleicht auch eine Diskussions-Un-Kultur. Sie verschrecken diejenigen, die es bisher kuschelig gewohnt waren. Oder wie schreibt es Anne Roth pointiert: „Die einen wollen , die anderen die Straße.“

Es knirscht technisch: Einrichtung, User Experience, Skalierung

Aber es knirscht auch technisch. Die Einrichtung und Benutzung sind nicht gerade „smooth“. Dabei müssen sich die Experten und Nerds vor Augen halten, dass jetzt Anwenderinnen und Anwender rein schnuppern, die einfachste Bedienung erwarten und natürlich Mastodon und andere Fediverse-Klienten mit der Twitter- oder Facebook User Experience vergleichen. Die wird nicht geboten.

Auch ist halt vieles ungewohnt. Man muss sich seine Instanz suchen1, an der man sich anmeldet. Diese dezentrale Struktur ist für viele immer noch undurchsichtig. Und dann ist es vorgekommen, dass genau die Instanz, in der man sich registrieren wollte, gerade wegen des starken Andrangs neuer Anwenderinnen und Anwender keine neuen Konten aufnehmen konnte und wollte, weil die Kapazität einfach erschöpft war. Viele Instanzen mussten kurzfristig upgraden, weitere Rechen- und Speicherleistung anschaffen, was auch Geld kostet. Dazu aber später mehr.

Es knirscht: Undurchsichtigere Strukturen und Fürstengehabe

Ottilie und Otto Normaluser sind gewohnt, dass man jeder oder jedem auf einer herkömmlichen Plattformen zumindest folgen kann (so man nicht blockiert wird). Nun wird es komplizierter, weil dezentraler. Eigentlich sollten alle Instanzen und Server miteinander „sprechen“. Technisch können sie das auch, aber auch im Fediverse mag man sich nicht immer. Welche Instanz spricht also mit welcher anderen? Was oder wen sehe ich?

Es gibt eben nicht die eine zentrale Instanz, es sind viele Server, die untereinander über eine standardisiertes Protokoll (Activity Pub) miteinander kommunizieren könnten – so ähnlich wie es bei E-Mail der Fall ist. Ein Gmail-User kann eine E-Mail aus Mailbox.Org empfangen und beantworten, kommentieren. So etwas geht bei Facebook, LinkedIn oder WhatsApp und in der alltäglichen Nutzung von Twitter eben nicht. Man ist auf der Plattform gefangen und kommuniziert nicht mit Usern anderer Plattformen, kann es einfach nicht.

Im Fediverse gibt es eine unterdessen sehr unübersichtliche Anzahl mehr oder weniger großer Instanzen, die aber technisch miteinander reden können. Doch menschelt es auch in diesem „Sozialen Reich vieler dezentraler Instanzen“ und es kommt zu Kleinstaaterei, Lokalfürstengehabe, Gezicke, Eitelkeiten und gegenseitigem Blockieren. Ich habe das bisher übrigens noch nicht wahrgenommen. Aber im Fediverse entstehen wie auch auf Twitter Blasen, Echokammern und Fürstentümer. Das scheint wohl ein Merkmal sozialer Medien und menschlicher Kommunikationsmuster zu sein,

Es knirscht: Je mehr User, desto nötiger wird Moderation

Sicherlich wird das Thema Moderation noch von vielen Betreibern massiv unterschätzt. Je mehr Anwenderinnen und Anwender, je mehr Diskussion, desto mehr muss auch geschaut und moderiert werden. Diese Herausforderung kommt, ist vielleicht schon da. Dem Thema wird man sich stellen müssen und vielleicht gelingt es ja. einen möglichst allgemein akzeptierten Kodex – ähnlich zu Creative Commons für das Urheberecht – zu definieren, an dem sich Betreiber und Moderatoren von Instanzen orientieren, zu dem sie sich bekennen können. Moderation ist und bleibt wichtig, um radikale Spinner, die demokratische und humanistische Grundwerte in Frage stellen oder zu Gewalt aufrufen, im Blick zu haben – und zu blockieren, denn in diesen Fällen ist das angebracht.

Twitter war seit 2008 mein Social Home

Twitter war über lange, lange Jahre – seit 2008 – trotz aller Unkenrufe mein „Social Media Home“. Ich habe mich dort wohl gefühlt, auch weil ich Spinner blockiert habe und meine Informationen meist über von mir händisch gepflegte Listen erhalten habe. Hate Speech ist meist nicht zu mir durchgedrungen. In meinen Listen habe ich Twitter-Nutzerinnen und Nutzer zu bestimmten Themen von meiner Fohlenelf-Liste bis zu „Meiner Blase“ einsortiert. Durch diese Listen und die Nutzung von Hashtags sind gezielt Informationen zu mir gekommen. Ein Algorithmus und Werbung hatten dadurch wenig Chancen.

Diesen reichhaltigen Informationsfluss vermisse ich noch auf Mastodon, aber es wird latent besser. Und auch hier arbeite ich mit Listen beziehungsweise damit, noch bewusster Leuten zu folgen oder zu entfolgen, damit mein Newsfeed (weitgehend) relevante Beiträge enthält. Der Fluss an Informationen baut sich auf, auch wenn mir noch einige relevante Quellen, Publikationen und Twitter-Nutzer im Fediverse fehlen.

Ich experimentiere mit Mastodon

Trotz Lücken, Haken und Ösen tummele ich mich derzeit regelmäßig auf Mastodon (und vernachlässige mein Twitter-Konto, das ich aber noch nicht gelöscht habe). Ja, die Zukunft des Fediverse ist sehr ungewiss und es gibt viele Fragezeichen, von denen Sascha Lobo einige auflistet. Eine globale Öffentlichkeit ist im Fediverse wohl nicht vorhanden, dafür scheinen aber viele kleine Öffentlichkeiten (oder dürfen wir es Blasen nennen) zu entstehen. Ja, es ist alles, wie ich ja oben geschrieben habe, sehr nerdig oder wie Hendrik Wieduwilt in seinem Mastodon-Verriss in der FAZ schreibt vielleicht „plüschig, aktivistisch und kommunenhaft“.

Ich bin ganz sicher ein Idealist (und auch digital naiv) und mir gefällt der dezentrale Ansatz, der nicht nur mich an meine ersten Jahre im Netz erinnert. Doch es braucht stabile Säulen und auch einige namhafte Betreiber, damit das Fediverse bei aller begrüßenswerten Dynamik das soziale Netzwerk für die wird, die einen konstruktiven Austausch und eine lebhafte Diskussionskultur wollen. Die Zukunft der Demokratie wird im Internet entschieden, hat Renate Künast gesagt und damit den Nagel auf den Kopf getroffen.

Die Betreiber müssen sich schonungslos die Frage stellen: Wie kann sie, er oder die Organisation ihre Instanz finanzieren? Nur mit Good Will laufen die Server nicht und können auch keine Moderatoren bezahlt werden. Man kann also mit Fug und Recht Fragezeichen in den Augen haben, ob das Fediverse erfolgreich sein wird. Ohne Moos und besagte stabile Player und Säulen, wird auch im Fediverse nix los sein.

Das Fediverse braucht stabile, relevante Player – und Geld

Um mehr Relevanz und Stabilität zu schaffen, wäre es zum Beispiel sinnvoll, wenn sich die Öffentlich-Rechtlichen wie von Leonhard Dobusch vorgeschlagen dem Fediverse öffnen, die Mediatheken von ARD und ZDF mit Hilfe des Fediverse „social“-isiert würden. Ich logge mich mit meinem Mastodon-Konto an, kann kommentieren und diskutieren. Und denken wir dran, dass rund die Hälfte der Deutschen diese Mediatheken nutzen. Dies ist sicher nur eine Idee und es braucht viele weitere. Solch relevante Player müssen das Fediverse unterstützen, müssen nicht nur anwesend sein, sondern auch investieren.

Und ja, auch ein Abomodell, eine Bezahlung des eigenen Mastodon-Kontos muss für jeden, der es sich leisten kann, selbstverständlich sein, damit die Betreiber sich finanzieren können. Ich leiste meinen kleinen Beitrag bei mastodon.social. Sinnvollere Unterstützungsmodelle und -beträge dürfen kein Tabu sein, denn hier geht es nicht um einen blauen oder goldenen Haken. Hier geht es um die Existenz der Instanzen.

„Wenn Twitter kollabiert, zerfällt das globale Hirn in Denkprovinzen“ !???????

Zum Ende dieses Beitrages ist es mir ein Bedürfnis, den schon erwähnten Artikel von Hendrik Wieduwilt nochmals zu kommentieren. „Schlimmer als Twitter“ ist sein Titel und das finde ich schon sehr „over the top“. Auf Mastodon gehen laut Artikel eh meist verbeamtete Social Media-Redakteure, die diesem Datenschützer Kelber folgten. Und all diese kleinen Plattformen könne man auch nicht regulieren. Die Gesetzgebung sei dafür nicht geeignet. Und für die werbende Industrie sei das Fediverse auch nichts.

Bei allen Punkten, die man am Fediverse oder an der EU-Gesetzgebung zu digitalen Themen kritisieren, geht mir die Verherrlichung von Twitter als weltumspannendem digitalen Denkraum doch deutlich zu weit. Die Probleme mit Hassexzessen auf Twitter – viele Journalistinnen können ein Lied singen – kommen gar nicht vor. Immerhin kriegt Musk ein bisschen – nicht zu sehr – sein Fett ab. Das Fediverse der Nerds und linken Serverfürsten taugt auf jeden Fall nichts, rein gar nichts, glaubt man dem Artikel. „Wenn Twitter kollabiert, zerfällt das globale Hirn in Denkprovinzen“, so eine Aussage am Ende des Beitrags. Also weitermachen, denn im Großen und Ganzen scheint zumindest für Wieduwilt die Welt auf Twitter doch in Ordnung zu sein?

Mir stellt sich schon die Frage, ob wir mit den Plattformen der Milliardäre einfach so weitermachen sollten oder ob wir die Idee der dezentralen, miteinander verwobenen Netze mit Leben erfüllen und mit Geld unterstützen sollten. Vor allem: Was wäre die Alternative? Ein neues, kommerzielles soziales Netzwerk, durch Werbeeinnahmen gespeist? Vielleicht holt Google ja Google+ wieder raus …

1 Hier eine Übersicht deutscher Instanzen – im klassisch nerdigen Look-and-feel. Wer auf Twitter ist, kannt mit Hilfe von debirdify herausfinden, auf welchen Instanzen sich denn diejenigen, die einem auf Twitter folgen oder denen man folgt oder Mitglieder einer Liste auf Mastodon am meisten herumtreiben. Und dann muss man Glück haben, dass dort noch Platz ist.


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Eine Antwort zu „Fediverse: Es knirscht an vielen Ecken, aber wirklich schlimmer als Twitter?”.

  1. […] Woche habe ich einen Hintergrundbericht zum Mastodon und dem Fediverse geschrieben und mich auch an der von Klaus Eck angestoßenen Diskussion, die man hier nachlesen […]

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