Mittwochmorgen schaute ich zusammen mit meiner Frau, wie meistens, das Morgenmagazin. Hauptinteresse? Na klar, das Ergebnis der Präsidentenwahl. Ich hatte es befürchtet, und der „Worst Case“ trat ein: Trump wird zum zweiten Mal gewählt. Komplettes Unverständnis und keine Lust mehr auf Nachrichten, Kommentare und Berichte. Ich hatte die Schnauze voll und zog mich zurück, beschäftigt mich mit anderen Themen.
Um diesen Rückzug ins Private geht es auch im Tagesanbruch von Florian Harms auf T-Online: Rückzug ins Private, Politik von Trump bis Ampelkoalition aussperren, weil man von den Ereignissen schockiert ist und über die Dummheit und Verbohrtheit vieler Amerikanerinnen und Amerikaner nur den Kopf schütteln kann. Wie kann man nur einen solchen Lügner, Betrüger, Demagogen, verurteilten Straftäter, Rassisten, Frauenfeind wählen? Ich will davon nichts mehr hören.
Was lernen wir daraus?
Doch es nutzt nichts. Wir müssen uns der Realität stellen und nicht nur dem, was mit Trump auf uns in Deutschland und der ganzen Welt zukommt. Und wir müssen uns auch den Ereignissen in Deutschland und den kommenden Bundestagswahlen stellen. Christoph Bautz bringt es auf Campact auf den Punkt: „Wie konnte das passieren? Was lernen wir daraus? Und wie können wir verhindern, dass unser Land durch die AfD eine ähnliche Entwicklung nimmt wie die USA?“
„Die“ Antwort darauf gibt es wohl nicht, aber sicher die Notwendigkeit nach den Antworten zu suchen und sich eben nichts ins Private zurück zu ziehen, auch wenn man so gar keine Lust mehr auf die Herren Merz, Lindner, Scholz und Konsorten hat. Von den rechten Spinnerinnen und Spinnern, die nur hetzen und im Trüben fischen, erst gar nicht zu reden.
Am Donnerstagabend habe ich mich eine Weile mit Carl Haacke, dem Sohn des Künstlers Hans Haacke, nach der Eröffnung der von meiner Frau kuratierten Ausstellung in der Schirn Kunsthalle unterhalten. Carl ist ein echter New Yorker und kann sich nur vorstellen, dort zu leben. Natürlich sind wir auch auf das Wahlergebnis zu sprechen gekommen. Sicherlich geprägt durch seinen Vater Hans Haacke, ist Carl ein politischer Mensch.

Gesucht: Politikerinnen und Politiker mit Einfühlungsvermögen
Carl meinte in unserer Diskussion, dass Trump wegen etwas gewonnen habe, was gerade den Demokraten gefehlt habe: „Empathie“. Was? Trump soll empathisch sein? Man kann „Empathie“ aber auch mit Einfühlungsvermögen beschreiben und dann wird ein Schuh daraus. Er hat die Gefühle vieler Amerikanerinnen und Amerikaner gerade im mittleren Westen und im „Rust Belt“ erfasst und genutzt, das, was die Demokraten nicht geschafft haben.
Und ich glaube, es gibt Parallelen zu Deutschland. Genau wie die Demokraten ihre ureigene Klientel, die Arbeiter, an Trump verloren haben, besteht ebenso die Gefahr, dass die Sozialdemokraten ihr Klientel verlieren. Vielleicht haben sie es sogar schon verloren. Und genau wie Trump greifen die Rechtsextremen in Deutschland die Ängste und oft irrationalen Sorgen auf, machen sich diese zunutze und profitieren bei den Landtagswahlen; sie könnten bei den Bundestagswahlen profitieren.
Die etablierten Parteien bräuchten emphatische Politikerinnen und Politiker. Olaf Scholz, der Scholzomat, kommt sicher nicht so rüber. Die SPD müsste den Spitzenkandidaten wechseln, wird das aber wohl nicht tun. Einen Friedrich Merz emphatisch zu nennen, ist ebenso unmöglich. Das zeigen ja auch seine Beliebtheitswerte. Die CDU kopiert gerade Trump und auch die AfD, nutzt und reitet populistische Themen. Das hat aber nicht wirklich etwas mit Empathie zu tun. Das ist reine Machtgier ohne Scham und Anstand.

Aufs Maul schauen, ohne blind nach dem Mund reden
Kann man als Politikerin und Politiker einfühlsam und empathisch sein, Stimmungen aufnehmen, ohne in plattem Populismus zu verfallen? Kann man „dem Volk“ aufs Maul schauen, ohne ihm blind und platt nach dem Mund zu reden? Das ist die Frage, die sich mir stellt. Schafft eine oder einer der Kandidatinnen und Kandidaten diesen Spagat? Ich sehe derzeit niemanden und bin deshalb nicht optimistisch mit Blick auf die Bundestagswahlen.
Derjenige, der am ehesten empathisch erscheint, auch wenn er für viele ein Feindbild par excellence ist, hat aus meiner Sicht gerade tief in die Toilettenschüssel gegriffen: Robert Habeck. Habeck ist am ehesten ein Erklärer und Versteher, dem natürlich in seiner Amtszeit viele Fehler unterlaufen sind. Aber musste er sich jetzt von seinen sogenannten Social-Media-Beratern dazu überreden lassen, wieder auf die Propaganda-Plattform X zurückzukehren?
Präsenz in den sozialen Medien ist unterdessen ein Grundinstrumentarium für Politikerinnen und Politiker, X ist es als rechtspopulistische und Nazi-Plattform nicht (mehr). Ich bin dort komplett anderer Meinung wie unser Kumpel Gunnar. Das kann und sollte man nicht unterstützen und macht gerade Herrn Habeck massiv unglaubwürdig.
X – einfach ignorieren, da man nichts gewinnen kann
Wie hat es Martin Fehlenden so treffend geschrieben: „Es gibt dort nichts zu gewinnen. Völlige Missachtung der Plattform ist die einzige Chance, den Rechtsextremen ihren digitalen Raum wieder zu nehmen. Die Konfrontation auf der Plattform selbst bringt rein gar nichts.“
Am Freitag habe ich mit Lars gechattet, welches Thema wir in der kommenden Folge von #9vor9 behandeln sollten. „Ja, gute Frage. Klar könnten wir über den Einfluss von Social Media bei Wahlen sprechen, im Rückblick auf die US-Wahl und im Vorausblick auf die Bundestagswahl. Macht mir aber wahrscheinlich nur schlechte Laune“, meinte Lars und spricht mir aus der Seele. Und am Ende unseres Chats an diesem Freitag schrieb ich: „Wo ist das flauschige Thema für #9vor9?“
Es gibt sicher flauschige Themen, aber ich befürchte, wir sollten und müssen uns auch den oben erwähnten nicht-flauschigen Themen stellen. Was meinst du, Lars?


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