Damals haben Bücher gebrannt, heute brennt das Netz – Ist es schon wieder so weit?

Nach einem schönen Beisammensein an Silvester bin ich irgendwie mies gelaunt ins neuer Jahr gestartet. Da ist ein bisschen was zusammen gekommen. Eine Sache, die mich zum Jahresende nochmals wirklich aufgeregt hat, sind Hass und Umgangston im Netz. Sichtbar wurde dieser Hass erneut aufgrund einer Nichtigkeit, einer missglückten Satire rund im Oma als Umweltsau. Das als Anlass zu gröbsten Beschimpfungen und Morddrohungen? In welcher Welt leben wir unterdessen? Was ist aus dem Netz geworden, einem Netz, dass „wir“ einmal als Chance, als Ort von mehr Demokratie und offenem Meinungsaustausch angesehen haben?

Und die Bedrohungen werden oft schmerzhafter, von der geistigen Belastung des Einzelnen durch diese Beschimpfungen bis zur realen körperlichen Bedrohung. Dann hat sich noch Richard Gutjahr, der wirklich Zivilcourage gezeigt hat, dazu geäußert, wie er im Stich gelassen wurde. Der Spiegel titelt zu dem Vorfall „Mit Hass und Hetze alleingelassen“.

Margarete Stokowski hat dazu einen bemerkenswerten Artikel geschrieben, der zum Jahresende am 31.12.2019 auf Spiegel Online erschienen ist. Sie fordert uns alle dazu auf, solidarisch zu sein, solidarisch gerade auch dann, wenn jemand in einer Sachfrage* eine andere Meinung vertritt:

Es ist sogar der ganze Witz an Solidarität, dass man die eigenen Anliegen ein Stück zurückstellt und sagt: Deine Probleme sind auch meine Probleme, ich helfe dir beim Tragen. Alles andere ist vielleicht gerade mal Mitleid oder ein Bedauern der Umstände. Solidarität schließt Kritik nicht aus, aber wenn eine Person akut bedroht wird, ist es nicht der richtige Zeitpunkt für öffentliche Kritik und Selbstprofilierung.

über Gegen Hass im Netz hilft Solidarität – Kolumne von Margarete Stokowski – SPIEGEL ONLINE

Besonders erschreckend ist, wie Rechte und Rechtsradikale gegen Journalisten, Politiker, Demokraten agieren und dabei das Netz ge- und missbrauchen. Den Ton, die Sprache, die Bedrohung und die Schlägertrupps hatten wir schon einmal in der deutschen Geschichte. Damals haben Bücher gebrannt, heute brennt das Netz. Ist es schon so weit? Ist es schon wieder in Deutschland so weit?

Wir alle wissen, was nach den Bücherverbrennungen an unsagbaren Verbrechen passiert ist. Hoffentlich zeigen alle, die Demokratie zu schätzen wissen, diesmal die notwendige Solidarität, stehen zusammen und haben die Zivilcourage. Und wir brauchen die entschlossen handelnden Vorgesetzten – siehe das abschreckende Beispiel im Fall Gutjahr und das Verhalten des WDR -, Behörden und Gerichte, die schnell und öffentlich wahrnehmbar gegen die Auswüchse vorgehen und Urteile sprechen.

Chapeau gegenüber all denen, die öffentlich aufstehen, sich artikulieren und Rückgrat zeigen. Das verdient Hochachtung und Unterstützung. Wenn ich mir den ein oder anderen Tweet oder Kommentar ansehe, kann man nur zu leicht Angst bekommen und einknicken, verstummen. Doch das dürfen wir nicht. Gerade auch die demokratische, politische Mitte ist gefragt.

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Und ein Appell an alle zur Rückkehr zum notwendigen, in der Sache harten Streit, zu Diskussion und Argumenten statt Hass. Man kann unterschiedlicher Meinung sein, aber Beschimpfungen und Androhung körperlicher Gewalt, gar Morddrohungen sind einfach nicht akzeptabel, nicht tolerierbar.

Das Wort Respekt sollte wieder den notwendigen Stellenwert erhalten. Abschreckende Beispiele gibt es leider allenthalben. Auch Toleranz hat in unserer demokratischen Gesellschaft ihre Grenzen beziehungsweise wir müssen diese Grenzen setzen.

(Stefan Pfeiffer)

* Ich beziehe mich hier bewusst auf Sachfragen, nicht auf die Grundlagen unserer Demokratie. Bei letzteren müssen wir streitbar und abwehrbereit sein, aber auch das kann und darf nicht bis hin zu Morddrohungen führen. Hier gibt es andere, beispielsweise juristische Mittel.

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