A cartoon of a bureaucrat behind a desk, desperately trying to look over a red-and-white barrier placed directly in front of him. The desk is cluttered with papers and an old-fashioned computer. In the background, frustrated citizens are waiting in a long line.

Von Schranken im Kopf und vor der Hofeinfahrt: Deutschlands Bürokratie-Dilemma

Das Thema Bürokratieabbau begleitet uns, begleitet mich gefühlt, seitdem ich denken kann. Weitergekommen sind wir seitdem nicht. Ein Schritt vor, drei Schritte zurück. Zum Thema hat Christian Buggisch hier einen Blogbeitrag geschrieben, den ich gleich kommentieren musste.

„Es gibt so eine und solche, und dann gibt es noch ganz andere, aber die sind die Schlimmsten,“ sagt schon Herta im Känguru Manifest. Das gilt auch für das Thema Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst. Christian hat schlechte Erfahrungen mit den Mitarbeitenden der Deutschen Rentenversicherung gemacht. Ich dagegen war zufrieden*.

Doch was waren meine Anfragen? Standardprozesse, formalisierte Anfragen. Ich habe die Vermutung, dass es dann dauern könnte, wenn es etwas links und rechts zur normalen Arbeit geht. Die berühmten Ausnahmen. Aber natürlich habe ich wie die meisten von uns andere Erfahrungen mit der Verwaltung und Bürokratie gemacht, auch ich. Manche haben einfach eine Schranke vor dem Kopf**.

Der Apparat verteidigt seine Daseinsberechtigung

Ja, an dem Beharren auf bürokratischen Vorschriften ist sicherlich etwas dran. Und der „Apparat“ ist natürlich darauf aus, sich selbst und seine Daseinsberechtigung zu verteidigen. Wie schreibt Christian so treffend:

… das Ganze ein sich selbst verstärkendes System: Keiner dieser Menschen hat auch nur das geringste Interesse daran, Regeln zu vereinfachen oder gar abzuschaffen, denn das könnte ja zur Abschaffung der eigenen Aufgaben, mithin des eigenen Jobs führen.

Welcher Behördenchef will sich und seine Abteilung schon selbst abschaffen? Wer von ihnen will schon Stellen in seinem Bereich abbauen? Je mehr Leute für mich arbeiten, desto wichtiger bin ich schließlich.

Doch ja, es gibt auch die Beamten, die etwas bewegen wollen, doch nur zu oft werden sie ausgebremst. Das haben wir schon immer so gemacht und das machen wir weiter so. Regeln vereinfachen, abbauen? Das fällt vielen aus besagten und anderen Gründen schwer. Wir Deutschen sind schon Bürokratiereiter, und die europäischen Verordnungen und Regelungen machen es bestimmt nicht besser.

Nun habe ich in den letzten Tagen angesichts des Tarifkonflikts im öffentlichen Dienst in der Tagesschau gehört und allenthalben gelesen, dass viele Beamte und Angestellte, die Baby Boomer des öffentlichen Dienstes, in den kommenden Jahren in Rente gehen. Es fallen Tausende von Stellen weg, die auch nicht ersetzt werden können, weil uns einfach der Nachwuchs fehlt und Stellen im öffentlichen Dienst angeblich so unattraktiv und schlecht bezahlt seien, so zumindest die Gewerkschaft.

Verwaltungsreform: Einfach mal DOGE und Herrn Murks kopieren?

Aber gibt es Lösungen oder Vorbilder für den Abbau von Bürokratie und den zu erwartenden Mangel an verfügbaren Beamtinnen und Beamten? Sicher gibt es die, meinen einige. Wir kopieren einfach das, was Herr Murks in den USA mit seinem Department of Government Efficiency (DOGE) so macht. Das meint zumindest Telekom-Chef Tim Höttges auf der Mobilfunkmesse MWC und fordert eine drastische Reduzierung der Regulierung von Telcos in der Europäischen Union.

Lieber Herr Höttges, manche Vergleiche sollte man nicht ziehen, auch wenn diese öffentlichkeitswirksam sind. Sie wollen doch nicht ernsthaft ein solches Chaos angerichtet sehen und wie Herr Murks einfach mal 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der US-Atom-sicherheitsbehörde NNSA entlassen, die für die Sicherheit und Wartung von Atomwaffen zuständig sind?

Oder wollen Sie die Angestellten einfach mal durch Chatbots ersetzen? Chatbots sind ja auch bei der Telekom beliebt. Das scheint aber auch nicht so gut zu funktionieren, denn diese Chatbots sind einfach noch zu doof. Noch zu doof. Sie müssten sinnvoll trainiert und überwacht werden, um wirklich Nutzen zu erzielen. Derzeit richten sie meistens Chaos an, lassen unzufriedene Kundinnen und Kunden zurück, wie es gerade in den USA mit dem Chatbot namens GSAi zu verfolgen. Man sollte wirklich aufpassen, welches Fass man aufmacht, gerade als Vorstand der Telekom.

Ein solches Fass machte gerade auch die Darmstädter FDP auf, die eine holistische KI-Strategie für die Stadtverwaltung Darmstadt fordert. Ziel sei es, Prozesse zu automatisieren und Mitarbeitende zu entlasten. Darmstadt könnte bundesweit ein Vorbild werden, so da.news. Hört sich toll an, doch Effekthascherei. Wie soll eine einzelne mittelgroße Stadt so etwas wuppen? Ja, deutsche Kommunen und Städte brauchen so etwas, aber dafür müssten sich einige Städte zusammentun. Das vorzubereiten und vorzuschlagen, wäre eine sinnvolle Initiative gewesen.

Sinnvolle Vorschläge gibt es schon lange, aber …

Natürlich gibt es auch Bemühungen, die mehr Aufmerksamkeit verdienen, beispielsweise die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“. Diese Initiative ist ein überparteiliches Reformprojekt, das im November 2024 unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von Julia Jäkel, Peer Steinbrück, Thomas de Maizière und Andreas Voßkuhle gestartet wurde. Ein Zwischenbericht mit 30 konkreten Handlungsempfehlungen wurde am 12. März 2025 an Bundespräsident Steinmeier übergeben. Der endgültige Abschlussbericht mit detaillierten Reformvorschlägen soll im Sommer 2025 veröffentlicht werden.

Einige, ja viele der Vorschläge klingen sinnvoll: Ein eigenes Digitalministerium und weniger Bürokratie sollen den Staat effizienter machen. Die Initiative fordert eine Föderalismusreform mit klarer Aufgabenteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Auch der Bitkom, die Interessenvertretung der deutschen IT-Industrie, hat 40 Vorschläge gemacht. Und es gibt sicherlich noch viele weitere Beispiele und gute Anregungen, wie wir zu weniger Bürokratie und schnelleren Prozessen kommen können.

… wer ist willens und hat die Kraft die umzusetzen?

Doch wer ist willens und in der Lage, diese auch umzusetzen? Reformvorschläge gibt es seit Jahrzehnten. Wurden sie in nennenswertem Umfang realisiert? Nein, denn beispielsweise wehren sich Bundesländer und Kommunen vehement, wenn sie Rechte und Zuständigkeiten abgeben sollen. Das ist nur ein Beispiel.

Gunnar Sohn bemerkt in seinem Beitrag zur Selbsthilfegruppe „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“: „Wer die Bürokratie reduzieren will, schafft zuerst eine neue Bürokratie zur Überwachung des Abbaus.“ Meine Vermutung, was die neue Bundesregierung nach Amtsantritt tun wird: Man wird mal wieder eine Kommission bilden und für teures Geld Mackies und andere Berater verpflichten, statt schlank und rank mit kleinen Arbeitsgruppen an das Thema ranzugehen und schnell Projekte zu realisieren.

Schuldenbremse gelockert, Investitionsmittel verfügbar, haben wollen, für meine Partikularinteressen. So wird das nicht funktionieren.

Vergessen wir auch nicht: Viele der Unterstützer und Mitglieder der großen Parteien mit ihren Parteibüchern sitzen in der Verwaltung. Die Postenschacherei und das Belohnen von Amigos und Genossen durch ein Pöstchen sind in Deutschland nichts Neues. Ist eine neue Bundesregierung im Amt, ist ein altbackener, wirtschaftshöriger Kanzler im Amt, sind die Altparteien CDU/CSU und SPD wirklich willens und in der Lage, Reformen schnell umzusetzen?

Ich habe meine Zweifel, aber es ist absolut und dringend nötig. Wir müssen seit Jahren unsere Verwaltung reformieren und Bürokratie abbauen. Haben wir nicht getan. Jetzt haben wir angesichts der grundlegenden Verschiebungen der weltpolitischen Lage durch Putin und Trump keine Wahl. Deutschland und die EU müssen sich reformieren, und dazu gehört im Kern auch der Abbau von Bürokratie.

Investieren, reformieren – und bitte nicht zur eigene Klientel umverteilen

Und es geht eben nicht darum, die gerade freigegebenen Mittel wieder einmal freizügig an all die zu verteilen, die laut schreien. Es kann und sollte nicht sein, dass damit Wahlversprechen erfüllt und Interessengruppen befriedigt werden. Die haben alle schon die Euro-Zeichen in den Augen. Man muss nur den Forderungen lauschen, die sie vor den Mikrofonen absondern. Offensichtlich haben diese Gruppen den Schuss noch nicht gehört. Hoffen wir, dass Christine Holthoff Recht hat und Mittel nun – dank des Verhandlungsgeschicks der Grünen – nicht zweckentfremdet und für Wahlgeschenke verwendet werden können.

Bürokratieabbau, eine schlankere, effizientere Verwaltung, ja, auch der wohl überlegte Einsatz von Künstlicher Intelligenz zur Optimierung der Verwaltung sind neben den notwendigen Investitionen die andere Seite der Medaille, um Deutschland zu reformieren, den Bedrohungen durch Russland und Trump zu begegnen und auch Vertrauen zurückzugewinnen. Ohne tiefgreifende Veränderungen drohten selbst die milliardenschweren Investitionsprogramme der Großen Koalition wirkungslos zu verpuffen. Durch althergebrachte Befriedigung der eigenen Klientel und Weiter so wird das nicht gelingen.

* DRV: Da habe ich mal für die Mitarbeiter der Deutschen Rentenversicherung eine Lanze gebrochen, denn meine Erfahrungen mit ihnen war in den vergangenen Monaten sehr gut. E-Mail geschickt, Formular ausgefüllt und in zwei Fällen (meine Rentendaten ausrechnen) hatte ich ein bis zwei Tage später einen Anruf und einen Termin, der auch gut lief. Na ja, so mittelgut: Ich weiß jetzt, wie wenig Rente ich bekomme (aber dafür konnten die Mitarbeitenden der Rente nichts). Im anderen Fall (Reha) dauerte es, bis ich einen Antwort, einen finalen Bescheid bekam, aber das wurde auch gleich angekündigt. Doch was waren meine Anfragen?

** Schranke: Seit Jahren liegt ein Bescheid beim lokalen Amt hier in Darmstadt. Eine Schranke, die derzeit unsere Einfahrt „kontrolliert“, muss abgebaut werden, damit die Feuerwehr im Notfall ohne Behinderung zu unseren Wohnungen kommt. Der entsprechende Akt liegt beim Sachbearbeiter neben dem Schreibtisch auf dem Fenster. Allein, er, der Akt, und er, der Beamte, bewegen sich nicht. Er sei ja so überlastet, also rr, der Beamte. So steht die Schranke immer noch. Ein Schelm, wer Böses vermutet oder andere Motive unterstellt. Manche Mitbürger haben sehr gute Beziehungen in die Verwaltung. Der ganze Vorgang – nicht nur die Entfernung der Schranke – läuft mittlerweile sieben Jahre. Ja, sieben Jahre.

Comments

2 Antworten zu „Von Schranken im Kopf und vor der Hofeinfahrt: Deutschlands Bürokratie-Dilemma”.

  1. Der Beitrag war schon fertig, da bin ich auf den lesenswerten Artikel von Gerd Mischler zur Digitalisierung in der Verwaltung gestoßen: Hindernisparcours statt Umbruch. Gerd Mischler deckt in seinem Deep Dive auf, wie Behörden an veralteten Strukturen festhalten. „Das haben wir schon immer so gemacht“ blockiert Fortschritt. Ein System im Selbstblockademodus.
    https://www.golem.de/news/digitales-desaster-in-amtszimmern-herrscht-der-muff-von-tausend-jahren-2503-190940.html

    Gunnar Sohn hat das dann gleich in seinem Beitrag aufgegriffen und kommentiert: https://ichsagmal.com/deutschland-dein-amt-die-totgeburt-der-digitalisierung/

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  2. […] Von Schranken im Kopf und vor der Hofeinfahrt: Deutschlands Bürokratie-Dilemma […]

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