Wir haben uns sehr schnell getraut, bei #9vor9 über die Rolle des neuen Ministeriums für Digitalisierung und Staatsmodernisierung und den neuen Minister Karsten Wildberger zu sprechen. Jetzt gibt es erste Details und Kommentare, welche Kompetenzen das Ministerium bekommt, wie es sich aufstellt und wie sich Wildberger positioniert: „Unser klares Beispiel für die Schwierigkeiten bei der Entwicklung europäischer Alternativen zu US-amerikanischen Digitalkonzernen Ziel ist es, Deutschland zur treibenden Kraft bei der Digitalisierung in Europa zu machen,“ so Digitalminister Karsten Wildberger laut heise online. Das sind ambitionierte Ankündigungen, denen natürlich auch die entsprechenden Taten folgen müssen. Hier also ein Nachtrag zu unserem Gespräch.
Kein Elon Musk, aber „Friend of Friedrich“
Zur Person Wildberger: Sehr pointiert äußert sich Uwe Vorkötter auf T-Online. Weniger Bürokratie, mehr Digitalisierung: Karsten Wildberger, FoF, ein „Friend of Friedrich“, zugehörig zu den Lobbyisten rund um Fritze und Ex-Chef von MediaMarktSaturn, soll als Digitalminister den Staat effizienter machen. Die Erwartungen sind hoch, die Zweifel aber auch. Wildberger ist kein Elon Musk, der mit der Kettensäge den Staat zerlegt. Geprägt durch seine internationale Erfahrung in der Wirtschaft ist er ein Modernisierer und Transformierer. Aber „ein Manager macht noch keinen modernen Staat. Und ein erfolgreicher CEO muss nicht zwangsläufig ein erfolgreicher Minister werden.“ Trotzdem eine eher positive Bewertung der Entscheidung von Merz.
Das neue Bundesministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung (BMDS) erhält auf jeden Fall weit mehr Kompetenzen als erwartet: Aus dem Kanzleramt wandern strategische Grundsatzfragen der Digitalpolitik ins neue Ministerium. Das Innenministerium gibt die Bereiche digitale Verwaltung, das Onlinezugangsgesetz (OZG), IT-Beschaffung, Steuerung der Bundes-IT, Netzinfrastrukturen sowie die Cybersicherheit in der Bundesverwaltung ab – mit Ausnahme der spezifischen Anforderungen der Sicherheitsbehörden, die beim BMI verbleiben. Auch das Informationstechnikzentrum Bund (ITZBund) und die Zuständigkeit für die „souveräne Cloud“ wechseln ins BMDS.
Digitalkompetenzen gebündelt
Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) verantwortet die gesamte Digital- und Datenpolitik sowie die digitale Infrastruktur, darunter Glasfaser- und Mobilfunkausbau. Aus dem Wirtschaftsministerium kommen Aufgaben wie bessere Rechtssetzung, Bürokratieabbau und digitale Wirtschaft hinzu. Das Justizministerium leitet die Geschäftsstelle für Bürokratieabbau, den Nationalen Normenkontrollrat sowie die Umsetzung der EU-KI-Verordnung.
Das BMDS erhält zudem einen Zustimmungsvorbehalt für alle wesentlichen IT-Ausgaben der unmittelbaren Bundesverwaltung und damit eine starke Steuerungsfunktion. Unklar bleibt, wie sich die Verschiebung auf das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und die föderale IT-Kooperation auswirkt. Auch bei der digitalen Identität gibt es Überschneidungen zwischen dem Innen- und dem Digitalministerium.
Das Team von netzpolitik.org dröselt hier gewohnt kritisch die Chancen und Risiken auf. Der Fokus des BMDS liegt deutlich auf Wirtschaft und Innovation – weniger auf Gemeinwohl, Teilhabe und Transparenz. Ob das Ministerium damit tatsächlich schlagkräftiger werde, bleibt abzuwarten.
Letzte Chance für „Digitalisierung made in Europe“
Bemerkenswert ist der Beitrag von Daniel Stelter im Handelsblatt. Er argumentiert in seinem Beitrag “Digitalisierung ‘made in Europe’ ist die letzte Chance”, dass Europa nach 20 Jahren des Verschlafens eine letzte Möglichkeit hat, in der digitalen Transformation aufzuholen. Er verweist auf den Erfolg des GSM-Standards in den 1980er-Jahren als Vorbild: Damals gelang es Europa, durch gemeinsames Vorgehen und klare Standardisierung gegen die US-Konkurrenz zu bestehen. Ich muss bei europäischen Projekten dagegen an das Projekt Gaia-X denken, das nicht wirklich ein Erfolg ist.
Das neue deutsche Digitalministerium könnte laut Stelter ein entscheidender Baustein sein, wenn es mit echter Weisungsbefugnis ausgestattet wird und konsequent auf Interoperabilität setzt. Nur mit der richtigen personellen Mischung aus Fachleuten und erfahrenen Verwaltungsmitarbeitern könne es gelingen, die digitale Transformation voranzutreiben und den Anschluss an die Weltspitze zu finden. Nach Jahrzehnten des Zögerns entscheide sich jetzt, ob Europa den Anschluss an die Weltspitze verliere oder aufhole.
Es wird sportlich
Große Worte allerseits, noch größere Zielsetzungen. Es wird sportlich. Das neue Ministerium muss aus dem Stand einen digitalen Sprint aufnehmen und schnell aus den Startlöchern kommen. Danach geht es auf verschiedene „Strecken“, vom 400-Meter-Lauf bis zum Marathon: Intern muss ein neues Ministerium aufgebaut, Abteilungen müssen zusammengeführt werden, die bisher anderen Ministerien zugeordnet waren. Auch muss in diesem Apparat ein neuer Geist, eine neue Umsetzungsgeschwindigkeit einziehen. Eine weitere innerdeutsche Herausforderung ist unsere föderale Struktur. Es ist notwendig, dass sich nicht nur die Bundesbehörden, sondern auch Länder und Kommunen vom neuen Ministerium „vorgeben“ lassen, welche Lösungen eingesetzt werden. Wie viel Durchsetzungskraft und Richtlinienkompetenz wird man hier haben?
Schließlich bleibt die Aufgabe und Herausforderung „Digitale Souveränität“. Wird es dem neuen Ministerium gelingen, sich schnell auf den Weg zu begeben, unabhängiger von Lösungen aus anderen Ländern zu werden? Eine für mich wichtige Nagelprobe ist, ob sich der neue Digitalminister – gerade bei seinem beruflichen Hintergrund – und sein Team – siehe Herr Amthor – wirklich aus der Abhängigkeit der US-Konzerne lösen wollen und können.
Wird es schließlich gelingen, eine gesamteuropäische, solidarische „Digitaloffensive“ zu starten? Alleine wird es Deutschland nicht schaffen, und das nicht nur auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz. Hier gibt es ähnliche Herausforderungen wie durch unsere föderale Struktur. Jedes Land kocht sein Stübchen und will sein Stück Eigenständigkeit bewahren und sein Stück von der digitalen Auftragsvergabe abhaben. Es sind also nicht nur digitale Sprints, es ist nicht nur Kurzstrecke. An vielen Stellen droht Langstrecke, vielleicht sogar ein Marathon. Ob wir dafür allerdings genug Zeit haben? Dieser Digitalminister und sein Team haben im besten Fall erst einmal vier Jahre. Wir werden das Thema bei #9vor9 und hier im Blog beobachten.


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