2021 wird ein Schlüsseljahr für die sozialen Medien

Die Ausschreitungen auf dem Capitol Hill mit der vorhergehenden Rede von Donald Trump scheinen vielerorts das Fass zum Überlaufen gebracht zu haben. Twitter sperrt Trumps Konto permanent. Facebook und Instagram tun dies ebenfalls auf undefinierte Zeit, wie Zuckerberg selbst postet. Apple und Google werfen Parler, das sogenannte „Free Speech Social Network“, das wohl ein wichtige Kommunikationsplattform beim Sturm auf Capitol Hill war, aus ihren App Stores. Und Amazon setzt noch einen drauf, in dem es Parler am 10. Januar 2021 von den Amazon Web Services, wo das Netzwerk gehostet wird, verbannt. Parler kann dann einfach nicht mehr erreicht werden und muss sich einen neuen Hosting-Partner suchen. „The real Trump“ verliert gerade die Kanäle, über die er jahrelang seine Lügen und Hetze verbreitet hat, auch wenn seine noch verbliebenen Adlaten weiter für ihn posten.

Nun kann man sicherlich der Meinung sein, dass vieles schon weit vorher hätte passieren müssen. Und es scheint so, dass einige plötzlich mutig werden, weil sie glauben, dass Trump ihnen nichts mehr kann, seine Tage gezählt sind. Wie kommentiert Patrick Beuth korrekt:

Seine elektronischen Lautsprecher jetzt auszuschalten, macht nicht wett, was die Social-Media-Unternehmen ihm alles haben durchgehen lassen.

Donald Trump und soziale Medien: Der perfekte Zeitpunkt für das Ende der Extrawurst – DER SPIEGEL

Das ist korrekt, doch wie schreibt Alexander Armbruster andererseits:

Die privatwirtschaftlichen sozialen Netzwerke können sich aufgrund der einmaligen Infrastruktur, die sie bereitstellen, nicht heraushalten aus Fragen, wie die demokratische Meinungsbildung und der öffentliche Diskurs ablaufen. Allein und zuallererst verantwortlich dafür, dass im Jahr 2016 und nun wieder zig Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner Donald Trump wählten, das sind sie jedoch nicht. Und auch nicht für den Sturm auf das Kapitol.

US-Kapitol-Besetzung: Nein, Facebook ist nicht schuld am Mob

Ja, sie sind sicher nicht alleine verantwortlich, tragen jedoch aus meiner Warte aus durchaus eine Mitschuld. Besser, sie sind einfach zu spät aktiv geworden. Jenseits aller berechtigten Kritik finde ich die jetzt getroffenen Maßnahmen durchaus bemerkenswert.

2021- Ein „Inflection Point“ nicht nur für Facebook, Google & Co

Die sozialen Medien generell und insbesondere GAFAM*-Konzerne befinden sich genau jetzt an einem Inflection Point, nicht nur wegen der gerade beschriebenen Ereignisse. Sie sind auch seitens der Regierungen und Kartellbehörden unter nie gekanntem Druck: Noch nie waren die Anstrengungen in den USA und der EU so groß, die GAFA(M)-Plattformen zu regulieren, wie ich kürzlich hier im Blog geschrieben habe.

Doch machen wir uns nichts vor: Die eigentliche Arbeit beginnt jetzt. Wie werden Politiker:innen künftig auf den sozialen Kanälen behandelt, wenn sie Lügen und Hass verbreiten und gegen die Nutzungsbestimmungen der Anbieter verstoßen? Ein Ende der Extrawurst, wie Patrick Beuth schreibt. Wie wird dort nun generell mit Lügen und Hass umgegangen? Wer kontrolliert und moderiert basierend auf welchen Vorgaben und Regeln? Die Konzerne, die ihr Hausrecht ausüben und das deshalb tun sollten und können? Darf man es ihnen überlassen? Wer kontrolliert wie Facebook, Twitter und Co moderieren, gar blockieren und löschen? Diese Unternehmen werden bestimmt nicht von heute auf morgen zu Gutkonzernen, auch wenn sie jetzt einmal konsequenter gegen Hass und Hetze vorgehen. Welche Macht dürfen und sollen privatwirtschaftliche Digital-Plattformen haben, fragt Kai Heddergott auf Twitter.

Der Traum (oder die Illusion?) von einem unabhängigen sozialen Netzwerk

Und auch der Wunschtraum nach unabhängigen, interoperablen Plattformen bleibt. Bisher sind das allerdings immer Träumchen geblieben. Keine Alternative hat eine wirkliche kritische Masse an Anwendern und damit Relevanz erreicht. Forderungen nach einer europäischen Alternative, die aus Rundfunkgebühren finanziert werden sollen, sind ebenso verpufft wie die Appelle eines Tim Berners-Lee nach einem freien Web und seine Versuche, eine technische Alternative zu schaffen.

Machen wir uns auch nichts vor: Trump und Konsorten, die Hetzer und Verschwörungstheoretiker werden sich ganz sicher neue Parallelwelten und Plattformen suchen, finden und dort ihre Hetze und ihre Lügen verbreiten. Darauf wird man auf jeden Fall eine Auge haben müssen.

Der neue Aufbruch in den sozialen Medien?

2021 könnte eine Chance, ein Schlüsseljahr werden, um einiges auf und in den sozialen Medien neu, anders zu gestalten, zu verbessern. Anja Kirig vom Zukunftsinstitut schreibt von der großen Korrektur, dem Abschied von den unsozialen Medien. Die Pandemie markiere eine neue Ära des sozialen Netzwerkens. Plattformen müssten nun ethisch Farbe bekennen. Eine weitere These: Sag mir, auf welcher(n) Plattform(en) Du bist und ich sage Dir, wie Du bist. In Zukunft gehe es mehr um von Vertrauenspersonen kuratierte und verifizierte Informationen. Vor allem diese würden geteilt und ge“like“t.

Die Diskussion um sinnvolle Regeln und Regulierung wird jetzt geführt werden müssen, möglichst gesellschaftlich breit, fordert Christian Müller zu Recht. Möglichst breit wäre schön, aber einfach wird es angesichts von Themenkomplexen wie Fake News, Hate Speech, Meinungsfreiheit und Zensur, Privatsphäre, möglicher Überwachung, Datenschutz und DSGVO, Bedeutung der Algorithmen oder Upload-Filtern nicht. Die nie endende Reparatur des Internets – oder vielleicht sollte man heute besser Splinternet sagen – geht weiter. Aufgeben zählt nicht.

* GAFAM steht für Google (als Synonym für den Mutterkonzern Alphabet), Apple, Facebook, Amazon und Microsoft.

Nachtrag. 11.1.2021, 14 Uhr: Beim sonntäglichen Spaziergang hat meine Frau mich interviewt, warum schon nicht längst die sozialen Plattformen reguliert würden. Ich habe ihr gesagt – und ansatzweise oben im Text geschrieben -, dass es nicht ganz so einfach ist. Und dann bin ich eben auf diesen Thread von Hendrik Wieduwilt gestoßen, der einige Fragen zur Sperre von Trump und der generellen Debatte stellt. Hier der Link als Tweet und der gesamte Thread als Screenshot. Auch auf seinen Blog-Beitrag sei verwiesen.

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