Digitalisierung ist in Deutschland keine Chefsache #9vor9

Gerade heute sollte die Digitalisierung ein Schlüsselthema für jedes Land sein. Doch Deutschland steht auch weiterhin im Vergleich zu anderen Ländern nicht gut da. Hat das Treffen in Meseberg daran etwas geändert? Lars und ich haben uns in an das Thema herangetraut, auch wenn wir nicht im Beirat Digitalstrategie Deutschland sitzen.

Digitalisierung in Deutschland – Tragödie oder Komödie?

Die Bundesregierung hat in Meseberg über ihre Digitalstrategie beraten, und die Reaktionen waren gemischt. Die Opposition muss natürlich kritisieren, aber auch die Digitalverbände und die sogenannte Zivilgesellschaft war kritisch, die versprochene verstärkte Einbindung erfolge nicht, es gebe Haushaltskürzungen statt eines Digitalbudgets und die Priorisierung von Open Source lasse auf sich warten.

Auch die Wirtschaftsverbände sind frustriert. Bitkom stellt fest, dass nur etwa ein Zehntel der digitalen Vorhaben umgesetzt wurde, während ein Viertel überhaupt noch nicht angegangen wurde. Weitere Details sind hier im Monitor Digitalpolitik des Bitkom zu finden. Der Verband der Internetwirtschaft, eco, kritisiert die schleppende Umsetzung und führt dies auf mangelnde Konsistenz in den Umsetzungsplänen und einen Verantwortungswirrwarr in strategischen Bereichen der digitalen Transformation zurück.

Damit starten wir sowohl im Versorgungsalltag wie in der Forschung eine Aufholjagd.

Karl Lauterbach, nach: Meseberg:
Was das Kabinett beschlossen hat, FAZ

Einige Beschlüsse wurden gefasst, darunter der Bürokratieabbau und Initiativen im Gesundheitswesen, wie die Einführung des eRezepts und der elektronischen Patientenakte, die jetzt verbindlich kommen sollen. An vollmundigen Versprechungen und visionären Aussagen fehlt es auf jeden Fall nicht. Auf Basis der Digitalprojekte im Gesundheitswesen und der damit gewonnenen Daten soll auch in der Forschung eine Aufholjagd beginnen.

Natürlich darf das Thema Künstliche Intelligenz (KI) heutzutage nicht fehlen. Es ist ein weiterer wichtiger Bestandteil der Digitalstrategie. Die Regierung spricht von einer „industriellen Revolution“ durch KI und plant die Einführung von Sprachmodellen für die öffentliche Verwaltung. „Wir wollen die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz auch für die öffentliche Hand nutzbar machen“, heißt es in einem 26-seitigen Dokument, das die Süddeutsche Zeitung zitiert. Dabei schließt man auch die Entwicklung eigener KI-Sprachmodelle (Large Language Models LLM) nicht aus. „Wir prüfen, ob und inwieweit LLMs in der öffentlichen Hand sinnvoll und unter Wahrung des Datenschutzes zum Einsatz kommen sollten.“ Auch hier sind vollmundige Statements zu hören.

Bislang bleiben Daten viel zu oft ungenutzt und fehlen somit für digitale Innovationen. Das betrifft industrielle genauso wie öffentliche Daten. Das wollen und müssen wir ändern.

Volker Wissing, nach Bundesregierung – Koalition will KI-Anwendungen in Verwaltung möglich machen – SZ.de (sueddeutsche.de)

Scheitert Digitalisierung am Datenschutz?

Ankündigungen und Realisierung digitaler Projekte und Lösungen sind jedoch in Deutschland zwei verschiedene Dinge. Es klafft eine Riesenlücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Was sind die Ursachen? Ist „der Datenschutz“ ein zentrales Problem, das die Digitalisierung in Deutschland bremst? Nur zu gerne wird postuliert, dass der Datenschutz. Datenschutzbestimmungen oft hinderlich seien und die Umsetzung digitaler Projekte verlangsame.

Wir haben bei diskutiert, ob viele Projekte nicht richtig aufgesetzt werden. Statt Datenschützer von Beginn an in Projekte einzubinden und sie mit in die Verantwortung zu nehmen, scheint es so, als ob die kurz vor Abschluss auf die vorgeschlagene Lösung schauen und Nachbesserungen fordern, was natürlich zu Verzögerungen führt. Zumindest kolportiert dies auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber.

Scheitert Digitalisierung am fehlenden Digitalministerium?

Oder ist es das immer noch fehlende, zentrale Digitalministerium, dessen Fehlen signifikante Schritte in der Digitalisierung in Deutschland verhindert? Nominell liegt Digitales ja bei Volker Wissing, doch es scheint so, dass doch viele Köche ihren eigenen Brei kochen und alles nicht so richtig aufeinander abgestimmt zu sein scheint. Sicherlich tragen die föderale Struktur Deutschlands und die unterschiedlichen Interessen der Länder und Kommunen ebenfalls dazu bei, dass die Digitalisierung nicht in der notwendigen Geschwindigkeit vorankommt.

Wie kommentiert Jan Hildebrand im Handelsblatt:

Die weiteren Beschlüsse zur Digitalisierung und KI-Anwendungen fallen eher in die Kategorie überfällig. Zumal es gerade in diesen Bereichen die leidliche Erfahrung gibt, dass eine Gesetzesvorgabe das eine ist, die praktische Umsetzung in Behörden oder dem Gesundheitswesen aber ungleich komplizierter und langwieriger ist.

Meseberg: Ein großer Schritt für die Ampel, ein zu kleiner für das Land, Handelsblatt

Digitalisierung müsste Chefsache sein

Uns scheint, als ob die Digitalisierung in Deutschland einfach nicht die höchste Priorität genießt. Um die digitale Zukunft Deutschlands erfolgreich zu gestalten, ist eine klare Vision und der politische Wille zur Umsetzung erforderlich. Ideen für die Digitalisierung gibt, sie werden nur nicht realisiert. Ein Grund ist unserer Meinung nach, dass weder unter Angela Merkel noch unter Olaf Scholz Digitalisierung Chefsache ist. Und genau das müsste sie sein, um Deutschland zumindest in das obere Drittel der digital führenden Länder zu bringen. Von da aus steht das blaue Auge von Kanzler Scholz quasi sinnbildlich für den Stand der Digitalisierung in Deutschland. Oder wie Daniel Leisegang auf netzpolitik.org kommentiert:

Nicht zuletzt muss die Ampel aber vor allem eines tun: den Turbo starten. Andernfalls wird auch sie am Ende nicht mehr geliefert haben als ihre Vorgängerregierungen: reihenweise Fehlzündungen und verpuffte Versprechen.

Ein Jahr Digitalstrategie: Reihenweise Fehlzündungen – netzpolitik.org

115 – Über Digitalisierung in Deutschland #9vor9 – Die Digitalthemen der Woche

Von elektronischen Patientenakten über Digitalchecks von Gesetzen bis zu ausgedruckten und abfotografierten Dokumenten: Was wurde in Sachen Digitales bei der Klausurtagung der Bundesregierung in Meseberg beschlossen? Die Beteiligten werden es wahrscheinlich alles ganz toll finden, was sie sich überlegt haben. Aber ob das wirklich so ist und warum es grundsätzlich etwas hakt und zwickt im digitalen Deutschland, darüber sprechen wir diese Woche. Viel Spaß beim Hören.

Die Titelgrafik wurde diesmal mit der KI Ideogram erstellt. Zeige einen Mann mit Halbglatze und schwarzer Augenklappe links am Computer vor dem Reichstag. Im Hintergrund ist ein Gewitter mit Blitzen zu sehen.

Comments

Eine Antwort zu „Digitalisierung ist in Deutschland keine Chefsache #9vor9”.

  1. Annika

    „Bitkom stellt fest, dass nur etwa ein Zehntel der digitalen Vorhaben umgesetzt wurde, während ein Viertel überhaupt noch nicht angegangen wurde.“

    Wenn sich der Bitkom über etwas beschwert heißt das in gefühlt 90 % aller Fälle, dass man alles absolut richtig gemacht hat. Siehe z. B. hier:

    https://www.heise.de/news/Datenschutz-Korrekturen-gefordert-Deutsche-Firmen-hadern-mit-der-DSGVO-4915068.html

    „Einige Beschlüsse wurden gefasst, darunter der Bürokratieabbau und Initiativen im Gesundheitswesen, wie die Einführung des eRezepts und der elektronischen Patientenakte, die jetzt verbindlich kommen sollen.“

    Die elektronische Patientenakte kann nichts taugen. Das sieht man am mangelnden Vertrauen ins eigene Produkt. Auf gut Deutsch: Daran, dass es Opt-out statt Opt-in ist.

    Man hat gefälligst selber entscheiden zu dürfen, ob man bei solchen steuerfinanzierten Experimenten wirklich Laborratte sein möchte.

    „Was sind die Ursachen? Ist “der Datenschutz” ein zentrales Problem, das die Digitalisierung in Deutschland bremst? Nur zu gerne wird postuliert, dass der Datenschutz. Datenschutzbestimmungen oft hinderlich seien und die Umsetzung digitaler Projekte verlangsame.“

    In meinen Augen scheitert die Digitalisierung daran, dass man die alte Volksweisheit „Erst denken, dann handeln“ ausgerechnet bei der Digitalisierung nicht befolgt. Und einen Minister von einer Partei, die allen Ernstes im Wahlkampf „Digital first, Bedenken second“ plakatiert, würde ich von allem Digitalen möglichst fernhalten.

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