Eine geteilte amerikanische Flagge, die sich in der Mitte zu einer deutschen Flagge verwandelt, mit leichtem Grunge-Effekt. Im Vordergrund zwei sich spiegelnde Silhouetten von Rednerpulten. Dramatische Beleuchtung von oben, leichter Nebel im Hintergrund. Fotorealistischer Stil, cineastische Komposition

Zwischen Empathie und Populismus: Was Deutschlands Politik aus Trumps Triumph lernen muss

9vor9 breit

Die jüngsten Entwicklungen in den USA werfen ihre Schatten auch auf Deutschland: Nach Donald Trumps erneutem Triumph bei den Wahlen zeigt sich deutlich, welche Macht soziale Medien, Influencer und reine Emotionen im politischen Diskurs entwickelt haben. Besonders die Plattform X, vormals Twitter, spielt in den USA dabei eine zentrale Rolle – sowohl durch die schiere Reichweite von Elon Musk, der mit seinen Propagandabotschaften täglich 200 Millionen Menschen erreicht, als auch durch gezielte Algorithmen und Manipulationen. Unser Thema bei mit Lars Basche und mir.

USA: Klassische Medien verlieren weiter an Bedeutung

Elon Musk erreicht mit einer Nachricht X schnell mal über 200 Millionen Views auf X. Die FAZ erreicht an guten Tagen online 2 Millionen Unique Visitors. Gut, wir sollten keine Äpfel mit Birnen vergleichen, nicht Kurznachrichten mit ausführlichen Berichten. Trotzdem ist es bezeichnend. In den USA verlieren die Qualitätsmedien offensichtlich an Bedeutung.

Die Analyse des US-Wahlkampfs offenbart eine beunruhigende Entwicklung: Während klassische Medien an Reichweite verlieren – die Einschaltquoten der US-Sender sind im Vergleich zu 2020 um weitere 25 Prozent gefallen – gewinnen alternative Kanäle an Bedeutung. Nur am Rande: Einzig der konservative Haussender von Trump, Fox News, konnte sich als Marktführer in der TV-Berichterstattung behaupten.

Kurznachrichten auf X, längere Podcasts und YouTube-Videos

Trump und sein Team nutzen diese Entwicklung geschickt aus. Sein Freund Elon unterstützt ihn massiv auf X. Er selbst streut natürlich auch die gewohnten emotionalisierenden Lügen und Halbwahrheiten. Während Kamala Harris klassisch auf kurze Social-Media-Clips bei TikTok und Instagram setzte, beschritt Trump auch einen überraschend anderen Weg. Statt wie früher massiv in Social-Media-Werbung zu investieren, fokussierte sich der Bald-wieder-Präsident diesmal auf ausführliche Gespräche in Podcasts und lange YouTube-Formate. Er setzte auf rechte Influencer und trat verstärkt in längeren Podcast-Formaten auf, wo er unwidersprochen seine Narrative entwickeln konnte. Offensichtlich erfolgreich.

Trump erkennt Stimmungen und nutzt sie

Donald Trumps größte Stärke ist sein Einfühlungsvermögen – allerdings auf eine sehr spezifische Art. Während seine Gegner ihn als gefühllosen Populisten brandmarken, zeigt sich in der Analyse seiner Kommunikation ein differenzierteres Bild. Trump verfügt über eine besondere Form der Empathie, die es ihm ermöglicht, die Gefühlswelt seiner Zielgruppe präzise zu erfassen und anzusprechen. Besonders effektiv ist seine Fähigkeit, komplexe Themen emotional zu vereinfachen und sich dabei als Kämpfer für die „vergessenen Menschen“ zu inszenieren.

„Die da oben“, das Establishment, die liberalen Eliten

Die wachsende Kluft zwischen Bürgern und den etablierten Parteien entwickelt sich zu einem zentralen Problem der deutschen Demokratie. „Die da oben in Berlin kümmern sich nicht mehr um uns“ – diese Aussage steht beispielhaft für eine gefährliche Entwicklung. Die Parallelen zur Situation in den USA sind dabei frappierend. Wie Trump es schaffte, sich als Kämpfer gegen das „Establishment“ zu inszenieren, so gelingt es auch rechtspopulistischen Kräften in Deutschland zunehmend, aus der Ablehnung der „liberalen Eliten“ politisches Kapital zu schlagen.

Besonders problematisch: Die etablierten Parteien verstärken durch technokratische Kommunikation und mangelndes Einfühlungsvermögen diese Entfremdung noch weiter. Diese Form der emotionalen Bindung fehlt vielen etablierten deutschen Politikern. In Deutschland wird diese Fähigkeit bislang hauptsächlich Robert Habeck zugeschrieben, während anderen Spitzenpolitikern wie Olaf Scholz („Scholzomat“) oder Friedrich Merz diese emotionale Ebene abgesprochen wird.

Wie viel Stammtisch sollte die CDU machen?

Merz und die CDU arbeiten unterdessen bewusst mit emotionalisierenden Aussagen, angefangen von den Paschas bis zu den abzureißenden, hässlichen Windrädern, die man an deutschen Stammtischen hören kann. Die CDU unter Friedrich Merz überschreitet dabei manche Grenze des Anstands. Jedoch erkennt wohl niemand bei Merz die emotionale Strahlkraft eines Trump. Das zeigen ja auch die Umfragen.

Die etablierten Parteien verlieren hierzulande den Kontakt zu ihrer Basis. Sie müssten dem Volk mehr aufs Maul schauen, ohne aber Teilen der Bevölkerung populistisch nach dem Mund zu reden. Natürlich ist es ein dünner Grat zwischen emotionaler Nähe und Empathie für die Probleme und Gefühle der Menschen im Land und blankem Populismus, der leicht die „einfachen Antworten“ suggeriert, die es so oft nicht gibt.

Empathie und Glaubwürdigkeit

Die Herausforderungen für die deutsche Demokratie sind immens: Die Mixtur auch hierzulande schwindender Medienglaubwürdigkeit, zunehmender Polarisierung und der Macht sozialer Medien schafft ein gefährliches Gemisch. Es braucht dringend wirksame Strategien und glaubhafte Politikerinnen und Politiker, die demokratische Werte verteidigen, ohne dabei in platten Populismus zu verfallen und die Grenzen des Anstands zu überschreiten.

Den Lügen und Halbwahrheiten entgegenzuwirken, durch Zuhören, mit der Bevölkerung zu reden und offensiv, emotional und erklärend in den Dialog zu treten, das ist die Aufgabe. Das ist sicher nicht einfach, wie man am Beispiel Robert Habecks sieht, dem einige einfach nicht mehr zuhören wollen. Doch es gibt wohl keine Alternative zu diesem Vorgehen. Die kommenden Bundestagswahlen werden zeigen, ob und wer diese Balance finden kann. Hoffentlich schaffen das einige Demokratinnen und Demokraten. Momentan sind Lars und ich skeptisch und besorgt.

Habeck’s X-Dilemma

Zum Abschluss noch eine Bemerkung zur umstrittenen Rückkehr Robert Habecks auf die Plattform X, da das Feld nicht den „Rechten und Schreiern“ überlassen wolle. Verlorene Liebesmüh und naiv angesichts der Entwicklung der ehemaligen Twitter-Plattform unter Elon Musk. Der flutet nicht nur die Timeline „normaler“ Anwender, egal ob diese solche Informationen nicht wollen, der flutet selbst neutrale Testaccounts systematisch mit politischer Propaganda. Dagegen kann auch ein Habeck nichts machen, der offensichtlich schlecht beraten wurde.

Besonders brisant: Musks jüngste deutschsprachigen Posts deuten darauf hin, dass er Deutschland als nächstes „Battleground“ für seine Plattform auserkoren hat. J.D. Vance hatte bereits während des Wahlkampfs gedroht, es werde „Ärger geben“, sollten Deutschland und Europa X weiterhin regulieren wollen. Habecks Rückkehr auf die Plattform gleicht damit dem Versuch, eine Wahlkampfveranstaltung ausschließlich vor einem feindlich gesinnten Publikum abzuhalten – ein aussichtsloses Unterfangen.

Die deutsche Social-Media-Realität

Dabei spielt die Plattform X Deutschland nur eine untergeordnete Rolle. Laut aktueller ARD/ZDF-Medienstudie nutzen gerade einmal drei Prozent der Deutschen X täglich. Instagram erreicht täglich 26 Prozent der Deutschen, und TikTok hat viermal so viele tägliche Nutzer wie X. X ist in Deutschland vor allem eine „politische Blase“, in der sich hauptsächlich Journalisten, Politiker und Trolle tummeln.

Besonders problematisch: Ein substantieller, aber schwer zu beziffernder Anteil der Accounts ist gefälscht. Allein Russland betreibt nachweislich zehntausende Fake-Profile – ein Problem, gegen das Plattformbesitzer Elon Musk wenig unternimmt. Lassen wir uns kein X für ein U vormachen.

Comments

4 Antworten zu „Zwischen Empathie und Populismus: Was Deutschlands Politik aus Trumps Triumph lernen muss”.

  1. @stefanpfeiffer.blog
    Interessanter Artikel, aber überaus lang, vor allem wenn man das auf dem Handy durchscrollen muss.
    Eine kurze Zusammenfassung mit Link zum Blog-Eintrag hätte auch gereicht.

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    1. Sorry, Kurzposting gibt es auch, allerdings unter meinem Mastodon-Konto @digitalnaiv@mastodon.social. Über die Fediverse-Schnittstelle wird immer der ganze Beitrag rüber publiziert. Ich schaue mal, ob ich einstellen kann, dass er nur den ersten Absatz nimmt.

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  2. Es stimmt einfach nicht, dass im deutschen X neben Journalisten nur rechte Hater und Trolle unterwegs seien! Nach wie vor gibt es unzählige Accounts, die sich zu diversen Themen austauschen: Philosophie, Gesundheit, Hobbys, Reisen, Alltag – ich nenne sie mal die „Neutralen“. Daneben gibt es auch viele GRÜNE, die zu Klima und Politikthemen posten – und grade Habeck bekommt viel Zustimmung und Zuspruch, man prüfe nur mal die Hashtags #TeamHabeck, #Habeck, #TeamRobert, #Habeck4Kanzler. Und solche wie #NiemehrCDUCSU #CDUnwählbar #MerzKannEsNicht #Merzverhindern #MerzKannNichtKanzler, wie auch die unzähligen Anti-AFD-Hashtags zeigen, dass nicht nur Rechte und Merz-Fans auf X unterwegs sind.

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  3. Horst Schulte

    Ich bin kein Fan der asozialen Medien. Generell nicht. Aber was Claudia dazu ausführt, möchte ich unterstreichen. Auch wenn uns der Besitzer von X so viel Freude macht, schlimmer als andere sind die auch nicht. Ich erkenne an, dass Rechte dort ein besonderes Stimmrecht haben 🙂 Nicht sympathisch. Aber die halte ich mir bislang erfolgreich vom Hals.

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