Die Generation Z informiert sich nicht mehr über die Tagesschau, die FAZ und kaum über „junge Formate“ wie „Zeit Campus“ oder „Jetzt“ von der Süddeutschen Zeitung. Sie scrollt. Sie swiped. Sie konsumiert politische Inhalte dort, wo sie ohnehin schon ist – auf TikTok, Instagram, YouTube. Und die Lieferanten dieser Inhalte sind längst nicht mehr klassische Medien, sondern politische Influencer, Newsfluencer, Meinungsmacher, die mit kurzen Clips, emotionalen Botschaften und einer scheinbaren Nähe zu ihrer Zielgruppe punkten.
Eine gerade veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung bestätigt, dass 74 % der jungen Menschen in Deutschland politische Informationen primär über Social Media beziehen. Nur 46 % nutzen noch klassische Medien wie Fernsehen oder Zeitungen. 60 % folgen politischen Influencern – aber nur 38 % gezielt Politikerinnen und Politikern oder Parteien. Die Hälfte der Befragten gibt an, politische Inhalte häufig über den algorithmisch gesteuerten Feed zu sehen – nicht durch aktive Suche.
Warum Newsfluencer den Journalismus überholen – und warum das gefährlich ist
Eine quasi neue Gattung, etwas zwischen Influencer und Journalist, die Newsfluencerin oder der Newsfluencer sind diejenigen, denen junge Menschen folgen und die sie hören und lesen. So richtig ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist diese „neue Gattung“ meiner Beobachtung nach wohl durch Rezo und dessen YouTube-Video „Die Zerstörung der CDU“ von 2019. Aber auch eine Mai Thi Nguyen-Kim, die gerade heiß umstrittene Julia Rihs oder ein Fabian Grischkat können in diese Kategorie eingeordnet werden.
Diese Newsfluencer sprechen die Sprache „der Jugend“. Während klassische Medien oft noch in den Kategorien von „Objektivität“, „Ausgewogenheit“ und „seriöser Berichterstattung“ denken, setzen viele Newsfluencer auf Emotionen, Persönlichkeit und Unterhaltung. Sie wirken nicht wie eine Institution, sondern wie „eine von ihnen“. Sie nutzen Slang, Memes, schnelle Schnitte – alles, was die Aufmerksamkeit der jungen Zielgruppe fesselt.
Und viele Newsfluencer vermischen Fakten mit Kommentaren – ähnlich wie im Meinungsjournalismus. Sie sind nicht an redaktionelle Standards wie Quellenprüfung oder Ausgewogenheit gebunden (auch wenn einige es versuchen). Nicht wenige der Newsfluencer nutzen ihre Rolle zur persönlichen Markenbildung – sie stehen oft im Vordergrund, nicht neutrale Berichterstattung.
Junge Leute vertrauen Newsfluencerinnen und Newsfluencern, da sie unabhängig erscheinen – auch wenn sie es in der Regel nicht sind. Etablierte Medien, Journalistinnen und Politikern werden oft als „Systemvertreter“ wahrgenommen und nicht selten gezielt als Mainstream-Medien oder von ganz rechts als Lügenpresse diskreditiert. Newsfluencer wirken im Vergleich authentischer, nahbarer, weniger „von oben herab“. Dass viele von ihnen selbst Interessen verfolgen – sei es durch Werbedeals, politische Agenden oder schlicht durch den Drang nach Aufmerksamkeit – wird nur allzu oft übersehen.
Belohnt werden Newsfluencer durch Algorithmen, die Empörung, nicht Fakten belohnen. TikTok, Instagram und Co. sind keine neutralen Plattformen. Sie pushen Inhalte, die starke Reaktionen auslösen – Wut, Begeisterung, Empörung. Angriffe auf politische Gegner erzielen die höchste Reichweite. Nuancierte Analysen? Komplexe Hintergründe? Die gehen im Feed unter. Stattdessen dominieren pointierte, oft vereinfachte Statements und Meinungen, die schnell konsumiert und weitergeleitet werden können.
Quasi unbemerkt von den Nutzerinnen und Nutzern entscheidet der Algorithmus, was im persönlichen Feed landet. Das führt zu einer „News-finds-me“-Mentalität: Man muss nicht mehr selbst aktiv suchen – die Plattform liefert uns, was uns (angeblich) interessiert. Filterblasen verstärken bestehende Meinungen, statt sie zu hinterfragen. Falschinformationen und extreme Positionen verbreiten sich schneller als ausgewogene Berichterstattung.
Die Gefahr: Meinungsblasen statt Meinungsbildung
Wir sehen problematische Folgen durch den zunehmenden Einfluss von Newsfluencerinnen und Newsfluencern, deren Inhalte von den Algorithmen bevorzugt werden, denn Emotionen und Oberflächlichkeit statt sachlicher Einordnung und Tiefe zählen. Komplexe Themen werden auf 60-Sekunden-Clips reduziert. Kontext und Hintergründe fallen weg – stattdessen dominieren Zuspitzungen und Polemik.
Die Algorithmen pushen kontroverse Inhalte, weil sie mehr Interaktion generieren. Gemäßigte Positionen gehen unter, radikale Meinungen werden normalisiert. Rechtspopulistische Accounts nutzen TikTok gezielt, um junge, unentschlossene Wählerinnen und Wähler zu erreichen – mit einfachen Botschaften und emotionalen Triggern. Polarisierung zählt statt Dialog.
Wenn viele junge Menschen ihre Nachrichten ausschließlich über Social Media beziehen, entfällt meist die kritische Einordnung, die professionelle Medien vorgenommen haben. Faktenchecks und Quellenprüfungen spielen kaum noch eine Rolle – stattdessen zählt, wer lauter schreit. Viele machen sich von Plattformen abhängig – und misstrauen dem Journalismus, der oft als Systempresse diskreditiert wird.
Was tun? Wie Journalismus und Politik reagieren können
Die gute Nachricht, die verschiedene Studien bestätigen: Junge Menschen sind politisch interessiert – sie wollen nur anders angesprochen und erreicht werden. Die Frage ist aus meiner Sicht nicht, ob Journalismus und Politik sich anpassen müssen, sondern ob und wie schnell sie es schaffen, eine jugendgerechte Ansprache zu finden und relevant zu bleiben. Dort ist noch viel Platz für „Improvement“.
Journalismus muss beispielsweise gerade auch dort stattfinden, wo junge Menschen ihre Zeit verbringen – auf Plattformen wie TikTok oder Instagram, in Formaten, die ihre Sprache sprechen: kurze, visuelle Erklärvideos, die nicht nur informieren, sondern zugleich unterhalten. Dabei zählt wahrscheinlich weniger das große Medienhaus als Marke, sondern die Persönlichkeiten, die dahinterstehen; journalistische Stimmen müssen sichtbarer und nahbarer werden, ähnlich wie Newsfluencer es längst vormachen. Und ja, das steht vermeintlich im Widerspruch zu Forderungen, wieder mehr Nachricht und Meinung voneinander zu trennen.
Und schließlich darf Journalismus nicht beim Senden stehen bleiben: Interaktive Formate wie Live-Diskussionen, Q&As oder kreative Duette mit Influencern eröffnen echte Dialoge statt bloßer Monologe – und schaffen so die Chance, junge Zielgruppen ernsthaft einzubinden. Einige Anstalten und Verlage haben sich in diese Richtung bewegt, aber noch ist ein weiter Weg zu gehen, um bei den jungen Generationen mehr Aufmerksamkeit und Vertrauen zu gewinnen.
Politikerinnen und Politiker: Wie peinlich darf man auf Insta und TikTok sein?
Interaktive Formate sind auch etwas, was sich Politikerinnen und Politiker anschauen müssen. Politische Kommunikation auf Social Media darf nicht in peinliche Nachahmungsversuche abgleiten – wenn Politikerinnen und Politiker tanzen oder Memes posten, wirkt das oft bemüht, anbiedernd und unglaubwürdig – siehe aktuell das Sweet Caroline-Video von Herrn Söder. Ist das noch Volksnähe – oder schon peinliche Selbstinszenierung? Die Meinungen gehen auseinander. Gefragt sind auf jeden Fall echte Dialoge, die junge Menschen ernst nehmen, statt sie wie bisher mit austauschbaren Slogans „von denen da aus Berlin“ abzuspeisen.
Daneben müssen weitere wichtige Maßnahmen ergriffen werden: Ohne Weiterbildung geht es nicht. Schulen müssen kritischen Umgang mit Algorithmen und Quellen lehren. Eltern müssen einbezogen werden – es braucht Aufklärung. Und natürlich gilt es, die Plattformen in die Pflicht zu nehmen, auch wenn das Herr Trump und seine BigTech-Brüder gar nicht mögen.
Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen beschreibt den Journalismus sowie die Politikerinnen und Politiker auf dem „Wühltisch der Anreize“: Wer heute Gehör finden will, muss Emotionalität und Lebensnähe mit seriöser Einordnung verbinden – sonst geht er im Algorithmus neben Katzenvideos und Söder-Clips unter.
Die Macht der Newsfluencer ist real – aber nicht unumkehrbar
Nicht nur die Studie der Bertelsmann-Stiftung bestätigt: Social Media hat den Journalismus als primäre Nachrichtenquelle für junge Menschen abgelöst. Das kann bedrohlich werden, muss jedoch kein Demokratie-Desaster sein – wenn Medien, Politik und Bildung jetzt handeln: Journalismus darf sich nicht als „zu gut für TikTok“ gerieren, sondern muss plattformgerecht werden – ohne Qualitätsstandards zu verlieren. Die junge Generation ist nicht desinteressiert – sie ist nur anders unterwegs, genau so, wie es die Generation Fernsehen oder die Generation Radio damals war. Daran sollten wir Boomer uns mal selbst erinnern, denen unsere Eltern immer vorwarfen, dass wir nur vor der Glotze säßen.
Was denkt ihr? Sollten klassische Medien versuchen, mit Newsfluencern mitzuhalten – oder ist das ein verlorener Kampf?
Sidekick: #9vor9 und TikTok
Am 5. Dezember 2023 – so lange ist das schon her – haben sich Lars und ich bei #9vor9 mit TikTok auseinandergesetzt. Lars hat dann auch meine Challenge angenommen und einige Snippets aus unserem Gespräch auf TikTok veröffentlicht. Doch er beziehungsweise wir haben es dann schnell eingestellt, weil TikTok nicht unsere Plattform ist.
Doch manchmal stellt sich schon die Frage, ob wir diese Entscheidung nicht überdenken müssen, gerade in diesen Zeiten, in denen sicher Stimmen, die in der Demokratie tief verwurzelt sind, immer wichtiger werden – selbst wenn sie von alten grau- bzw. weißhaarigen Männern kommen. Ich rede natürlich nur von mir. Oder sollte man aus bekannten Gründen TikTok doch besser ignorieren und sich in der Medienwelt der Babyboomer bewegen?
Das 60-Sekundenvideos zum Blogbeitrag – veröffentlicht auf YouTube, TikTok und Instagram
Quellen (eine Auswahl)
1. Studien und Berichte
- Bertelsmann-Stiftung (2025): „How to Sell Democracy Online (Fast) – Digitale Ansprache junger Menschen in der Demokratie“ Autor:innen: Melanie Weiser, Paulina Fröhlich, Pablo Jost, Hannah Fecher Verfügbar unter:Bertelsmann-Stiftung – Publikationen Zusammenfassung: Analyse der politischen Kommunikation auf TikTok und Instagram, mit Fokus auf die Ansprache junger Menschen durch Newsfluencer, Parteien und klassische Medien.
- Vodafone Stiftung Deutschland (2025): „Zwischen Bildschirmzeit und Selbstregulation – Soziale Medien im Alltag von Jugendlichen“ Verfügbar unter: Vodafone Stiftung – Studien Zusammenfassung: Untersuchung zum Mediennutzungsverhalten von Jugendlichen, inkl. emotionaler Auswirkungen und Strategien zur Selbstregulation.
- Reuters Institute Digital News Report (2025): „Reuters Institute Digital News Report 2025 – Ergebnisse für Deutschland“ Autor:innen: Behre, J., Hölig, S., & Möller, J. Verfügbar unter: Reuters Institute – Digital News Report Zusammenfassung: Daten zur Nutzung sozialer Medien als Nachrichtenquelle, besonders bei jungen Menschen.
- ARD/ZDF-Medienstudie (2025): Die ARD-/ZDF-Medienstudie wird seit vielen Jahren von der ARD-/ZDF-Forschungskommission beauftragt, um jährlich Grundlagen und Trends zur Mediennutzung in Deutschland zu erheben, Daten verfügbar unter: https://www.ard-zdf-medienstudie.de
2. Artikel und Kommentare
- Süddeutsche Zeitung (2025): „Newsfluencer – die neuen Journalisten?“ Autor:in: Nicht explizit genannt (Redaktion Kultur/Medien) Verfügbar unter: SZ – Newsfluencer-Artikel (Abo-Paywall) Zusammenfassung:Analyse des Aufstiegs von Newsfluencern wie Fabian Grischkat und deren Einfluss auf die politische Meinungsbildung junger Menschen.
- Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ, 2025): „Wie die Generation Z sich politisch bildet“ Autor:in: Mina Marschall Verfügbar unter: FAZ – Generation Z und Politik (Abo-Paywall) Zusammenfassung: Kritik an der politischen Meinungsbildung durch Algorithmen und Newsfluencer, mit Fokus auf TikTok und Instagram.
- Der Spiegel (2025): „Journalismus im Reaktionsmodus – Warum wir zu viel kommentieren und zu wenig erklären“Autor:in: Tobias Becker (basierend auf den Thesen von Annekathrin Kohout) Verfügbar unter: Spiegel – Journalismus im Reaktionsmodus (Abo-Paywall) Zusammenfassung: Diskussion über den „hyperreaktiven Journalismus“ und die Dominanz von Meinungsäußerungen über Faktenvermittlung.
- MDR Altpapier (2025): „Journalismus ist auf dem Wühltisch der Anreize gelandet“ Autor:in: Stefan NiggemeierVerfügbar unter: MDR – Altpapier #4356 Zusammenfassung: Kommentar zur Krise des Journalismus im Zeitalter von Social Media und Newsfluencern, mit Verweis auf Bernhard Pörksen.


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