Auf TikTok aktiv sein? „Die Politik“ hat wohl keine Wahl

Mal wieder geht es bei um TikTok. Anlass: Eine allenthalben geführte Diskussion darum, ob Politikerinnen, Politiker und die „Altparteien“ viel stärker auf der Plattform aktiv sein sollten und müssen, um den Parolen, Fake News und Hetzkampagnen der AfD Paroli zu bieten. Ganz offensichtlich dominieren rechtsextreme Lautsprecher derzeit die „politischen Inhalte“ auf der Plattform und beeinflussen gerade auch die jüngeren Wählerinnen und Wähler. Lars und ich diskutieren die verschiedenen Aspekte einer heiklen Social Media-Affäre rund um hetzerische und manipulative Inhalte. …

Die Diskussion um TikTok und seine Rolle in der Politik hat in den letzten Wochen gerade auch in Deutschland stark zugenommen. Die zunehmende Popularität der Plattform bei politischen Akteuren, insbesondere der AfD, ist ein Anlass zur Sorge für viele. Angesichts des bevorstehenden Wahljahres steht TikTok im Fokus, da es von den Rechtsextremen als Instrument zur politischen Kommunikation benutzt, und wohl ein Zusammenhang mit Wahlergebnissen besteht. So hat die AfD bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen am stärksten zugelegt, und in diesem Jahr stehen die EU Wahl und weitere Landtagswahlen an. Die Alarmglocken schrillen nicht nur in den Parteizentralen, auch in der breiten, demokratischen Gesellschaft.

AfD hat Social Media schon lange entdeckt und nutzt die Plattformen professionell

Früher als alle anderen Parteien hat die AfD die Möglichkeiten sozialer Medien entdeckt und beispielsweise Facebook schon lange mit ihren Parolen geflutet. Schon 2013 war die AfD auf Facebook den anderen Parteien binnen kurzer Zeit um Längen voraus. Nun ist seit geraumer Zeit TikTok in den Fokus gerückt. Im Gegensatz zu klassischen Medien, wo sich die AfD eh benachteiligt fühlt, kann die Partei auf TikTok und Facebook erst einmal unkontrolliert ihre Aussagen verbreiten, solange diese nicht gegen die Richtlinien der Plattformen und jetzt des Digital Services Acts (DSA) der EU verstoßen.

Mitgliedern und Sympathisanten maximale Beinfreiheit geben

Vor allem hat die AfD verstanden, ihre Parteimitglieder und Sympathisanten zu aktivieren und nicht nur auf offizielle Parteikanäle zu setzen. Während andere Parteien sich noch damit beschäftigen, einen Tweet zu koordinieren, haben die Mitglieder der AfD bereits ihre Kampagnen gestartet. Dies trägt maßgeblich zu ihrem Erfolg in den sozialen Medien bei, wie Politikberater Martin Fuchs bemerkt. Die Taktik der AfD besteht darin, ihren Mitgliedern eine maximale Bewegungsfreiheit zu geben, ohne eine direkte Kontrolle durch die Parteiführung.

Dadurch erscheint ihre Botschaft authentischer und sie können stetig die Grenzen des gesellschaftlich Akzeptierten ausweiten, ohne dass die Parteiführung hierfür direkt verantwortlich gemacht wird. Zum „Erfolg“ trägt auch ein lockerer Ton und die direkte und persönliche Ansprache junger Leute bei. Das „Echte Männer“-Video ist ein „gutes“ Beispiel. Ein vermeintliches oder reales Problem wird angesprochen, eine Lösung suggeriert. Die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion verwischen, bis nur noch eine Lüge Bestand hat, der Kern jeder Propaganda. Auch Bundestagsreden scheinen bewusst für TikTok, für 60 bis 90 Sekunden dauernde Videos mit zugespitzten Inhalten geschrieben zu sein, siehe die Hass-Tirade von Alice Weidel.

Provokation, Emotionen, Manipulation werden vom Algorithmus „belohnt“

So nutzt die AfD die Plattform effizient, um Stimmungen zu erzeugen und Inhalte zu verbreiten, wobei sie oft auf extreme und emotionale Aussagen zurückgreift: „regelmäßige Uploads, kurze Videos, klare Botschaften, Provokation, Personalisierung„. Das wird vom Algorithmus von TikTik belohnt, und die Strategie des rechten Social-Media-Beraters Erik Ahrens geht auf, die AfD-„Botschaften“ über die eigene Blase hinaus gerade jungen Leuten vorzuspielen. Pikanterweise zieht Ahrens einen Vergleich zwischen der Nutzung von TikTok durch die AfD mit der Nutzung des Radios in den zwanziger und dreißiger Jahren: TikTok als Volksempfänger der Rechtsextremen in den zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts. Dass die Wirkung der AfD-Propaganda dabei noch von russischen und anderen Bots auf X, Facebook und TikTok weiter geboostet und verbreitet wird, macht die Sache nicht einfacher.

DSA umgehend anwenden: Gegen Hass konsequent vorgehen

Klar sollte sein, dass gegen Hass und Hetze auf TikTok und im Netz rigoros vorgegangen werden muss. Da ist es begrüßenswert, das die Reichweite eines Maximilian Krah eingeschränkt wird, der erste Schritt, ein erster Tropfen auf den heißen Stein. Weitere Schritte müssen auf allen anderen Plattformen folgen. Die Möglichkeiten des Digital Services Acts müssen schnell und voll ausgeschöpft werden und die notwendigen Strukturen geschaffen und Behörden in Deutschland ermächtigt werden, gegen jegliche extreme Inhalte vorzugehen. Hier kommt es gerade jetzt auf die Umsetzung an.

Etablierte Parteien wachen auf?!

Nun (endlich) ist bei den etablierten Parteien Aktionismus ausgebrochen. Ihnen ist hoffentlich endlich bewusst geworden, dass auch sie deutlich mehr Geld und Personal in ihre Social Media-Abteilungen investieren müssen, um nicht noch weiter an Boden auf TikTok und den anderen Plattformen zu verlieren. Man darf gespannt sein, ob sie es schaffen, Inhalte zu produzieren, die die Parolen und Fake News der AfD und ihrer Helfershelfer kontern.

Wird es gelingen, Abgeordnete und Parteimitgliederinnen und -mitglieder zu aktivieren, auch verstärkt in den sozialen Kanälen selbst aktiv zu werden, zumindest die eigenen Beiträge zu liken und weiterzuempfehlen? Einzelne Politiker werden unterdessen aktiv. Prominentestes Beispiel dürfte Karl Lauterbach von der SPD sein, der publikumswirksam bei „Hart aber fair“ verkündete, nun auch auf TikTok aktiv zu werden. Das erste Video hat dann auch über eine Million Views erzielt.

Vor allem authentisch auftreten

Doch auch bei ihm wird es bei allen, die auf sozialen Kanälen aktiv sind, auf konstante, ansprechende, publikumswirksame Bespielung von TikTok ankommen. Der Sprachduktus von „dem Karl“ erscheint erst einmal nicht die Sprache zu sein, die auf TikTok junge Leute anspricht. Aber wer weiß? Zumindest hat er einmal ein öffentlichkeitswirksames Zeichen gesetzt. Und vielleicht ist es so, wie Martin und Simon im SocialMedia Watchblog schreiben, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer auf TikTok vor allem Auftreten belohnen, das als authentisch wahrgenommen wird.

Marius Mestermann und Jonas Schaible ermuntern die Politik in ihrem Stimmenfang-Podcast explizit dazu, auf dem Kanal aktiv zu werden, auch auf die Gefahr hin, cringe zu sein, in eine peinliche, unangenehme oder unbehagliche Situation zu kommen. Ohne Risiko, ohne Try and Error geht es wohl nicht.

#ReclaimTikTok

Unbedingt erwähnenswert ist auch die Initiative #ReclaimTikTok, in der sich Nutzerinnen und Nutzer auf TikTok unter diesem Hashtag zusammengeschlossen haben, um sich klar und emotional für demokratische Werte auszusprechen. Maurice Conrad ruft in der taz dazu auf, aktiv zu werden und die Zuschauenden mit Emotionen oder interessanten Fakten mitzunehmen. Man müsse selbst aktiv werden und aus seiner Komfortzone heraus.

Sollen Politiker und Parteien auf einer chinesischen Plattform sein?

Doch natürlich kann man die Frage stellen, ob eine demokratische Partei überhaupt auf einer chinesischen Plattform aktiv sein sollte, die potentiell von der chinesischen Regierung beeinflusst, gar kontrolliert wird. In den USA wurde TikTok aus Spionageverdacht von den Diensthandys aller Regierungsmitarbeiter verbannt. Auf der anderen Seite wird Joe Biden mit einem TikTok-Konto immer aktiver. Gleichzeitig laufen Bemühungen, die Abspaltung der Videoplattform von ihrem chinesischen Mutterkonzern zu erzwingen. Man hat offensichtlich Angst vor chinesischem Einfluss auf die amerikanische Bevölkerung.

Ein Verbot scheint im Moment zumindest in den USA vom Tisch. In Deutschland wird diese Diskussion auch geführt: „Sofern eine schärfere Regulierung nicht effizient umsetzbar ist, halte ich die Überlegung für ein grundsätzliches Verbot von TikTok für nötig“, sagte beispielsweise der Vize-Vorsitzende des Geheimdienst-Kontrollgremiums des Bundestags, Roderich Kiesewetter (CDU) zum Handelsblatt. Auch in der deutschen Netzszene wird dies diskutiert. Beispielsweise hat sich Sascha Pallenberg im Techlounge Podcast dafür ausgesprochen.

Wir haben keine wirkliche Wahl

Und was denken ich (und ich glaube auch der Lars)? Wir dürfen Rechtsextremen nicht die Straße überlassen, so wie bei den Demos. Noch dürfen wir den Rechtsextremen Social Media überlassen und da haben wir Stand heute keine andere Wahl als eben auf den jeweiligen Plattformen gegenzuhalten. Bei allen Bedenken. Politik und Zivilgesellschaft müssen auf TikTok professionell aktiv sein und werden.

Ausgewählte Quellen:

Die Titelgrafik und das Hintergrundbild der Videoaufnahme wurden mit ideogra.ai nach folgendem Prompt erstellt: create the image of a machine that spits out masses of videos with the titles „Echte Männer“, „Fake News“, „Fiktion“, which spread rapidly among a crowd of viewers

Comments

Eine Antwort zu „Auf TikTok aktiv sein? „Die Politik“ hat wohl keine Wahl”.

  1. Vielen Dank für diesen umfangreichen und informativen Beitrag! Ich stimme dir voll zu: man muss dagegen halten, auch von Seiten der Parteien und Politiker/innen – und gut, wenn das jetzt endlich bemerkt wird!

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