Zwischen Chance und Herausforderung: DSA als neuer Wind für das Internet!? #9vor9

In dieser Episode von trauen wir uns an den am 25. August 2023 in Kraft getretenen Digital Services Act (DSA) der EU heran, der oft auch als „Grundgesetz des Internets“ bezeichnet wird. Der DSA regelt EU-weit die Verantwortlichkeit und Pflichten großer digitaler Plattformen mit mehr als 45 Millionen Nutzern. Das bereits im November 2022 verabschiedete Gesetz gilt jetzt ausschließlich für die ganz Großen: Plattformen oder Online-Marktplätze wie Google, Facebook, Amazon, LinkedIn, Zalando und ähnliche Unternehmen. Die Computerwoche listet hier alle derzeit betroffenen Dienste und Unternehmen auf.

Ab dem 17. Februar 2024 wird es sämtliche Firmen und Organisationen betreffen, welche digitale Dienstleistungen anbieten. Es handelt sich um eine weitreichende Regulierung, die durch andere Gesetze wie den Digital Markets Act oder den AI Act noch ergänzt werden soll. Der DSA – der entsprechende deutsche Gesetze wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz NetzDG weitgehend ersetzt – hat das Ziel, eine EU-weite Regelung für das Internet zu schaffen und Plattformen zu verpflichten, gesetzeswidrige Inhalte wie Hassrede, Falschinformationen und Datenschutzverletzungen innerhalb einer angemessenen Zeit zu entfernen.

Transparenz und Nutzerrechte – Regulierung von Werbung und sensiblen Daten

Ein wichtiger Schwerpunkt des DSA liegt auf Transparenz und Nutzerrechten. Plattformen wie beispielsweise TikTok, Instagram und Co müssen die Option bieten, ihren jeweiligen durch ihre Algorithmen gesteuerten Newsfeeds zu deaktivieren. Zudem sollen die Plattformen nach DSA grundlegende Informationen über ihre Algorithmen und Filterprozesse veröffentlichen. All das soll dazu beitragen, die Transparenz für die Nutzerinnen und Nutzer zu erhöhen.

Der DSA fordert zudem mehr Transparenz in Bezug auf personalisierte Werbung. Nutzer sollen erfahren können, welche Daten für die Anpassung von Werbung genutzt werden und wer die Anzeigen finanziert. Zudem dürfen nach DSA bestimmte Kategorien sensibler Daten wie politische Einstellungen, sexuelle Orientierung und Religionszugehörigkeit für gezielte Werbung nicht mehr genutzt werden. Personalisierte Werbung für Minderjährige ist ebenfalls untersagt.

Transparenz, wie Daten erhoben und genutzt werden, Kontrolle über die eigenen Daten inklusive der Möglichkeit, diese zu löschen, Schutz von Nutzerinnen und Nutzern vor Hassrede, Belästigung und anderen Formen von schädlichem Verhalten sowie Offenlegung der Geschäftspraktiken der Online-Marktplätze sind wichtige Bausteine des DSA. Einige Plattformunternehmen haben bereits reagiert. TikTok ermöglicht den rund 134 Millionen Nutzern in der Europäischen Union die Deaktivierung personalisierter Empfehlungen. Die Zeit berichtet unter der süffisanten Überschrift „Die Uhr tiktokt“. Und Amazon und Zalando haben Klage gegen die Einstufung als sehr große Internetplattform durch die Europäische Union (EU) eingereicht

Nutzerinnen und Nutzer müssen auch Chancen zur Beschwerde nutzen

Der DSA sieht bei Verstößen gegen die Regularien hohe Geldstrafen vor, die bis zu 6 % des globalen Umsatzes eines Unternehmens betragen können. Dies soll die Plattformen dazu motivieren, die Bestimmungen des DSA einzuhalten. Vielerorten, beispielsweise von Markus Beckedahl, wird jedoch bezweifelt, ob diese Strafen tatsächlich umgesetzt werden und ob die EU-Kommission die notwendige Durchsetzungskraft hat. Immerhin wurden in den vergangenen Monaten in der EU schon auf Basis bestehender Gesetze wie der DSGVO hohe Strafen verhängt.

Der Digital Services Act soll Nutzerinnen und Nutzer also besser schützen – aber nur, wenn diese auch die Möglichkeiten ergreifen, die ihnen das Gesetz bietet. Es bleibt abzuwarten, ob viele bereit sind, auf vermeintliche Vorteile der Personalisierung zu verzichten und wie dies die Plattform und ihre Attraktivität beeinflussen wird. Im Gespräch haben wir doch einige Zweifel, dass eine Mehrheit es einfach aus Bequemlichkeit und „weil sie ja nichts zu verbergen haben“ es einfach so weiterlaufen lassen.

Wie reicht man als Nutzer Beschwerde ein, wenn Regeln der DSA nicht eingehalten werden?

Doch was ist, wenn man sich beschweren und die Einhaltung der Regeln einfordern will? Grundsätzlich obliegt die Überwachung der in der ersten Welle betroffenen, ganz großen Anbieter der Zuständigkeit der EU-Kommission. Jedoch legt das Gesetz der Europäischen Union eine enge Kooperation mit den nationalen Aufsichtsbehörden fest. Diese werden wohl vor allem für die Nutzerinnen und Nutzer die erste Anlaufstelle bei Beschwerden sein. Und wieder einmal könnte es nicht nur mit der EU, sondern auch auf bundesdeutscher Ebene zu Kompetenzgerangel und Schwarze-Peter-Spielchen kommen.

Wenn Nutzer der Meinung sind, dass eine Plattform gegen die neuen Regeln verstößt, können sie sich in Deutschland bei der die Bundesnetzagentur melden, so der Plan. Sie soll wohl die zuständige Behörde für die Überwachung und Durchsetzung des DSA in Deutschland sein und werden, die Einhaltung der Regeln durch die Plattformen zu überprüfen und bei Verstößen Maßnahmen einzuleiten hat. Doch wie immer sind wohl auch andere Behörden in Deutschland an der Durchsetzung des DSA beteiligt. Dazu gehören laut Medienberichten der Bundesdatenschutzbeauftragte, die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz und die Landesmedienanstalten.

Bundesnetzagentur als Ansprechpartner in Deutschland?

Nach unseren Recherchen können Nutzer die Online-Formulare der Bundesnetzagentur zur Beschwerde nutzen, wenn nach vorheriger schriftlicher Kontaktaufnahme mit der Online-Plattform keine befriedigende Antwort gegeben wurde. Die Formulare sind auf der Website der Bundesnetzagentur verfügbar. Alternativ könne man auch eine E-Mail oder einen Brief an die Netzagentur schicken. Auf eine entsprechende Anfrage an die Bundesnetzagentur über Mastodon, ob die Behörde Ansprechpartner bei Beschwerden ist, wurde bisher nicht beantwortet.

Antwort auf eine Recherche über den Chat der Microsoft Suchmaschine Bing

Im kommenden Jahr soll es dann – so ist zu lesen – auch außergerichtliche Schiedsverfahren bei entsprechenden Beschwerden geben können.

Das Resümee von Lars: Staatlicher Eingriff absolut notwendig

Abschließend betrachtet, sieht Lars Ähnlichkeiten zum Umgang mit unerwünschten Werbeanrufen oder -mails. Auch wenn vielen die Verordnung vielleicht gleichgültig erscheint und sie ihr Verhalten möglicherweise nicht ändern werden, bedeutet sie dennoch einen Fortschritt. Sie verleiht Verbraucherinnen und Verbrauchern mehr Rechte und eröffnet zusätzliche Möglichkeiten zur Regulierung der Plattformen.

Er hält es für äußerst positiv, dass solche Maßnahmen ergriffen werden, wenn die Plattformen von sich aus keine Notwendigkeit sehen, Veränderungen herbeizuführen. Wenn bestimmte Praktiken offensichtlich fortgesetzt werden, bis sie durch staatliche oder öffentliche Eingriffe reguliert werden müssen, dann ist das unabdingbar. Ein staatlicher Eingriff erscheint ihm in solchen Fällen als absolut notwendig.

Und meine 2 Cents: Bewusstsein schaffen und schärfen

Es wird spannend sein, welchen Einfluss dies generell auf den Datenhandel haben wird. Gerade sind ja entsprechende Exzesse von netzpolitik.org aufgedeckt worden. Im Beitrag werden werden die Praktiken der Werbeindustrie analysiert und es werden dabei sehr fragwürdige Datensätze und -segmente wie „Problemzonen: Sozialwohnungen und gewöhnliche Mehrfamilienhäuser“, „Geringverdiener ohne Orientierung“, „Haushaltseinkommen: Elite“ oder „Interesse: Luxusautos“. entdeckt. Es ist erschreckend, wie bestimmte Segmente, insbesondere im Datenhandel und Werbesektor, bisweilen sozial unverantwortliche Wege einschlagen.

„Persönlich habe ich zwar nichts zu verbergen“, höre ich immer wieder im Bekanntenkreis. Doch viele Menschen sind sich nicht im Geringsten darüber im Klaren, wie umfangreich Daten gesammelt werden. Wenn der DSA dazu beitragen kann, das Bewusstsein für diese Angelegenheiten zu schärfen und möglicherweise gewisse Praktiken einzuschränken, halte ich das für äußerst positiv. Klar ist aber auch, dass gerade jetzt und wieder und immer wieder Aufklärungsarbeit in Schulen und der Erwachsenenbildung nötig ist, um ein Bewusstsein für die Probleme zu schärfen oder gar erst zu schaffen.

Episode 114 – Über den Digital Services Act #9vor9 – Die Digitalthemen der Woche

Der Digital Services Act (kurz: DSA) ist vor ein paar Tagen in Kraft getreten. In der heutigen Episode gucken wir uns diese EU-Verordnung näher an: Was ist der DSA? Warum gibt es ihn? Wen und was reguliert er und wer ist für die Regulierung zuständig? Und wie schätzen Expert*innen und wie schätzen wir die Wirksamkeit dieser Verordnung ein. Wie versuchen, all diese Fragen zu beantworten. Viel Spaß beim Hören.

Nachtrag vom 31. August 2023: Amazon, Facebook und Google schludern, finden Verbraucherschützer:innen

Nach unserer Sendung erschienen ist ein Artikel auf netzpolitk.org über die Umsetzung des DSA bei Amazon, Facebook, Google und Co Stand heute. Verbraucherschützerinnen und -schützer haben stichprobenartig die Kontaktmöglichkeiten und Dokumentation über deren Empfehlungsalgorithmus getestet, um zu prüfen, wie gut Konzerne die neuen EU-Regeln umsetzen. Das Fazit: Nutzerinnen und Nutzer müssen bei Amazon, Google, Facebook und anderen oft lange suchen oder sich durchklicken, wenn sie Dienste kontaktieren oder ihre Empfehlungssysteme verstehen wollen – und teils finden sie nichts.

Die Titelgrafik wurde mit DALL-E grob mit folgenden Prompts erstellt: Die Nutzerin ist von Algorithmus von TikTok begeistert, die Krake sammelt im Hintergrund Daten und der Plattformanbieter zählt die Dollars, die eingesammelt werden

Comments

3 Antworten zu „Zwischen Chance und Herausforderung: DSA als neuer Wind für das Internet!? #9vor9”.

  1. […] Unsinn und Hetze auf uns zu, und hier werden sich auch die neuen Regularien der EU, insbesondere der Digital Services Act, und deren Durchsetzung bewähren […]

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  2. […] Politik und die Plattformen. Der bei #9vor9 schon einmal vorgestellte, gerade in Kraft getretene Digital Services Act der EU soll hier eine wichtige Rolle spielen, da hier zuerst die großen Plattformen, dann weitere […]

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  3. […] dem Inkrafttreten des Digital Services Act (DSA, wir haben bei #9vor9 darüber gesprochen) im August hat die EU reagiert und will entschieden gegen die Verbreitung […]

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