Prozesse versus Zusammenarbeit und Kundenservice

Derzeit sind sehr interessante Trends im Beschaffungsverhalten von Unternehmen zu beobachten. Viele Unternehmen – gerade auch,aber nicht nur im Finanz- und Versicherungssektor – scheinen fast ausschließlich auf die Industrialisierung ihrer Prozesse zu fokussieren und auch dort Geld in Technologie investieren zu wollen. Der Trend, auch in der Nicht-Industrie Verfahrensweisen und Prozesse analog zurr Industrie anwenden zu wollen, um so zu einer Standardisierung, Beschleunigung und Kostensenkung zu kommen, ist sicher kein neuer. Schon seit Jahren wird das Thema in der Fachliteratur und auf den entsprechenden Veranstaltungen behandelt. Ich habe selbst des öfteren noch zu meinen FileNet-Zeiten über die Industrialisierung im Bankensektor referiert, geschrieben und einige unserer damaligen Kundenbeispiele vorgestellt.

Nur drängt sich mir gerade heute der Eindruck auf, dass angesichts der Wirtschafts- und gerade auch Bankenkrise nur noch das Thema Kostensenkung und Prozessoptimierung im Fokus ist. Das ist auch sicher ein enorm wichtiges Thema, das weiter vorangetrieben werden muss. Jedoch dürfen andere wichtige Themen dabei nicht aus den Augen verloren werden. Eines dieser wichtigen Themen ist für mich der Bereich Service und Kundendienst. Ich habe sehr stark den Eindruck, dass dieser zunehmend schlechter wird. Viele Unternehmen haben ihren Kundendienst in Call  Center, oft in eigene Einheiten ausgelagert oder outgesourced. Oft sitzen die Call Center in anderen Ländern oder gar Kontinenten. Auch hier wurden und werden die Prozesse optimiert. Dabei scheint mir oft die Kundennähe und auch das Wissen der Call Center-Mitarbeiter über Umfang und Leistungen des Unternehmens und seiner Prozesse verloren zu gehen. Auch scheinen die rigiden Vorgaben und Prozesse es den dortigen Mitarbeitern oft schwierig zu machen, dem Kunden wirklich zu helfen.

Persönlich erfahre ich das gerade in zwei Situationen: Eine Fluglinie schafft es seit Februar diesen Jahres nicht, mir meine neue Kundenkarte zuzustellen. Ich musste einen Statuswechsel in der Kundenkarte hinnehmen, da ich nicht mehr so oft fliege, und habe in diesem Zuge meine einstmals enthaltene Kreditkarte gekündigt, da ich im neuen Status dafür Geld zahlen sollte. Die neue Karte wird mir konsequent nicht zugestellt, obwohl ich mehrmals angerufen und diese – wie gewünscht – auch schriftlich angefordert habe. Die Zusendung der neuen Karte wurde mir sogar bestätigt. Nur angekommen ist sie nie. Die durchaus freundlichen Mitarbeiter am Flughafen sind nicht in der Lage, mir zu helfen, da die Kartenfirma ein eigenständiges Unternehmen sei. Zehn Monate sind ins Land gegangen, ohne dass das Problem gelöst wurde. Keiner fühlt sich zuständig. Meine Kundenanfrage scheint durch den Rost gefallen zu sein.

Im zweiten Fall kämpfe ich mit meinem Telekommunikations-Provider. Hier hatte ich eine technische Frage zur Konfiguration meines neuen digitalen Fernsehens und zur Lieferung, die ich bekommen habe. Die Frage habe ich vergangene Woche abgesetzt. In einer E-Mail versprach mir ein Support-Mitarbeiter Hilfe. Seitdem ist nichts mehr geschehen. So was nennt man Kundenservice? Das Telefonmarketing des Telekommunikationsproviders dagegen funktioniert sehr gut. Da bekomme ich regelmäßig Anrufe. Wenn aber etwas verkauft ist, scheint man als Kunde nicht mehr so wichtig zu sein.

In beiden Fällen gehe ich davon aus, dass die Call Center nach standardisierten, kostenoptimierten Prozessen arbeiten. Entweder sind die Mitarbeiter dort demotiviert, überlastet oder aber – und das vermute ich in höherem Maße – sie finden die notwendigen Informationen nicht oder können nicht aus ihren hochstandardisierten Prozessen ausbrechen. Wobei ich nicht glaube, daß meine Anliegen dermaßen besonders und komplex sind. Prozessoptimierung ist notwendig . Keine Frage. Dabei darf aber nicht vergessen werden, daß es auch Ausnahmen gibt, die schon lange bekannte Ausnahmebehandlung in Prozessen. Diese Ausnahmen müssen möglich sein, um in meinen Beispielen wirklich guten Kundenservice zu bieten. Fälle, die nicht nach dem 08/15-Verfahren abzuwickeln sind, müssen aus dem Standardprozess heraus gelöst, jemanden zugeordnet werden, der dann die Verantwortung und die Chancen hat, die Fälle in Zusammenarbeit mit Fachleuten zu lösen. Im Sinne von Kundenbindung und Kundendienst.

Technologisch geht es hier darum, Business Process Management und Werkzeuge zur Collaboration (zur Zusammenarbeit) und zum Wissensmanagement miteinander intelligent zu kombinieren. Die Mitarbeiter, bei denen nicht nach dem Standardverfahren abwickelbare Prozesse anfallen, müssen die Möglichkeit haben, sowohl Wissen und wie auch Fachleute zu identifizieren, die bei der Lösung von Problemen helfen. Und sie müssen die Chance haben, ihre Erfahrung bei der Lösung zu dokumentieren, damit andere später von diesem Wissen profitieren. Das bedeutet einerseits, dass eine Wissensplattform da sein sollte, die leicht recherchierbar, bedienbar und inhaltlich erweiterbar sein muss. Technologien wie Wikis und Blogs bieten sich hier idealerweise an. Dort kann man Wissen leicht finden und auch selbst eingeben. Daneben ist es wichtig, dass der Sachbearbeiter möglichst leicht einen oder mehrere Fachleute identifizieren und mit ihnen kommunizieren kann, die ihm bei der Lösung eines Problems helfen. Hier sprechen wir dann von Profilen, über die Experten identifiziert werden können, und modernen Kommunikationsmöglichkeiten, um diesen Fachleuten direkt und unkompliziert zu kommunizieren, beispielsweise per in die Sachbearbeitung integrierter Telefonie- oder Chatfunktionalität.

Solche Funktionen, wie eben beschrieben, sind klassische Funktionen von Social Software, Enterprise 2.0 und Unified Communication & Collaboration (UCC). Sie helfen – neben klarer Zuständigkeit und Organisation – bei der Bearbeitung nicht nur von Ausnahmeprozessen. Ich glaube auch, daß solche Funktionen in vielen normalen, standardisierten Prozessen ebenso wichtig und nützlich sind, da Informationen und Wissen leichter zugreifbar und Kommunikation schneller, effizienter und kostengünstiger abgewickelt werden kann. Dass neben den „Production Workern“ auch Knowledge Worker – also Stabsabteilungen wie Personal. Marketing oder Training – diese Funktionen unbedingt brauchen, um in der Informationsflut effizient arbeiten zu können, sollte eh klar sein. Wichtig ist es, dass Unternehmen und Investitionsentscheider verstehen, dass Business Process Management Werkzeuge zur effizienten Zusammenarbeit (Collaboration) und Kommunikation braucht, um wirkliche Produktivitätssteigerungen zu erzielen – und vor allem den Kunden nicht zu vergessen, der sich heutzutage doch oft verloren und allein gelassen fühlt. Trotz aller verbalen Bekundungen, wie wichtig guter Kundendienst sei.

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