Nach dem Fall #Relotius: Kommt von den Bäumen runter, haltet Augen und Ohren offen und kämpft für die positiven Möglichkeiten der sozialen Medien

Eigentlich wollte ich zu einem Beitrag aufraffen, doch dann habe ich dank Fera Ataman den Kommentar von Bettina Gaus in der taz gelesen und habe sehr oft genickt. Die Hysterie, ein oft pauschales Medien-Bashing und meterlangen Beweihräucherungen gehen auch mir ziemlich auf den Zeiger. Wir sollen keine Geschichten mehr erzählen. Das verfälsche. Alles Mumpitz. Natürlich müssen wir Geschichten erzählen, unterhaltsam, kurzweilig. Wir tun das als Journalisten oder Blogger gerade in Deutschland noch viel zu wenig.

Wenn sie gut und redlich geschrieben sind, lügen Geschichten nicht, dann verzerren sie nicht, sind schlüssig und klar argumentiert. Aber wenn wir Geschichten schreiben, machen wir Konturen dicker, Kontraste schärfer, die Wirklichkeit packender.

über Der Fall Relotius: Vom Unbehagen, eine Geschichte zu erzählen

Dickere Konturen, schärfere Kontraste in und durch Geschichten, schreibt Jonas Schaible auf T-Online, von der Macht der narrativen Verführung Bernhard Pörksen auf Die Zeit. Ja, vielleicht reicht es manchmal nur für eine Nachricht oder einen Bericht. Doch gut geschrieben oder gut erzählt darf die Story sein. Und über allem steht, dass uns an die Tatsachen halten, Quellen nachweisen können, wo nötig Seriosität dieser Quellen kritisch bewerten. Fakten, Fakten, Fakten, da war doch mal was. Und ja, Fakten dürfen nicht der Dramaturgie einer Geschichte untergeordnet werden, lieber Winfried Felser.

Wenn wir Fiktion schreiben, dann sollten, ja müssen wir das auch kennzeichnen. So habe ich es als Journalist gelernt. So habe ich es als Historiker gelernt. Daran müssen wir uns halten, sogar in meiner jetzigen Hauptprofession als Marketier. Das gilt es zu verteidigen. Ja, natürlich gibt es keine hundertprozentige. Neutralität. Allein durch Selektion von Quellen, gewichten wir, aber wir haben eine Sorgfaltspflicht. Ich habe einmal gelernt, dass man Meinung als solche explizit kennzeichnen soll. Bernhard Pörkens zitiert in Die Zeit David Weinberger: “Transparenz ist in diesen Zeiten ohnehin alternativlos.

Und daneben einfach mal entspannt bleiben, denn die Selbstreinigungsmechanismen haben funktioniert, spät, aber sie haben funktioniert. Hier einige kernige Zitate von Bettina Haus. Chapeau für den Kommentar:

Die Debatte nimmt mittlerweile hysterische Züge an. Alle Preise abschaffen, sofort. Nicht mehr „schön“ schreiben. …

Wenn ein Heiratsschwindler entlarvt wird, dann steht doch deshalb nicht die Institution Ehe insgesamt auf dem Prüfstand. …

Und wenn alle mal wieder von den Bäumen runterkommen, auf die sie in den letzten Tagen geklettert sind, dann können wir uns vielleicht sogar sachlich darüber austauschen, wie sich Risiken verringern lassen. Es wäre der Mühe wert.

über Kolumne Macht: Debatte mit hysterischen Zügen – taz.de

Und nein. Nicht alles ist gut. Wir müssen weiter aufmerksam sein und das tun, was Bettina Gaus fordert, aber bitte sachlich und nicht das Kind mit der Wanne auskippen. Und lasst uns etwas weniger eitel, selbstdarstellend, Beifall heischend und profilsüchtig sein. Das, lieber Winfried Felser, ist für mich manchmal das Problem mit den Beiträgen auf Plattformen der neuen Art wie LinkedIn oder Xing, die Du dankenswerterweise erwähnt hast. Aber wir wollen auch bitte nicht verschweigen, dass gerade auf diesen Plattformen die Grenze zwischen Fachbeitrag, der oben genannten journalistischen Kriterien entspricht, und eher werbendem Beitrag* sehr fliessend und vielleicht nicht durch jeden Leser gleich identifizierbar ist. “Sie folgen (manchmal) geschäftlichen Interessen, sowie einem ausgeprägtem Behaviorismus”, wie es Klaus Janowitz schreibt.

Doch ja, soziale Medien – und dazu zählen Xing, LinkedIn und Co**, obwohl diese sind eine “Eliteblase” mit beschränkter Reichweite sind – können wertvolle Säulen einer aufgeklärten, kritischen und demokratischen Öffentlichkeit sein. Ja, sie sollten es sein. Dafür müssen wir sicher dort Themen wie Hasskommentare, “Fake News” – Sascha Lobo spricht vom Arschlochproblem der sozialen Medien – auf der einen, Datenmissbrauch durch werbegetriebene Plattformbetreiber wie Facebook auf der anderen Seite identifizieren, eindämmen, wo notwendig gesetzlich bekämpfen.

Die –  wie Wolf Singer es sinngemäß sagt – natürliche Krisenphase der sozialen Medien, den neuerlichen Strukturwandel der Öffentlichkeit sollen wir alle gemeinsam zum Positiven drehen und nicht aufgeben, wie es Sascha Lobo in seinem Spiegel-Kommentar zu tun scheint: “Um die vielen schönen, jeden Tag erfahrbaren Social-Media-Inseln liegt ein Meer an Dysfunktionalität, Manipulierbarkeit und Unverstandenheit.” Soziale Medien sollten, ja müssen mit eher klassischen Medien konstruktiver Bestandteil eines (möglichst) freien Netzes  und der neuen digitalen Öffentlichkeit sein.

(Stefan Pfeiffer)

*Ich bekenne mich dazu, in meiner Funktion als Marketing Manager durchaus Beiträge mit Werbegehalt zu veröffentlichen und veröffentlicht zu haben.

** Für mich gehört explizit auch Twitter zu den Kanälen, die auf Missstände aufmerksam machen und über die Wirkungslosigkeit des Leserbriefes hinaus gehen. Und das sage ich trotz Donald Trump.

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3 Kommentare zu „Nach dem Fall #Relotius: Kommt von den Bäumen runter, haltet Augen und Ohren offen und kämpft für die positiven Möglichkeiten der sozialen Medien“

  1. Es ist vor allem ein hausgemachtes Problem, wie mir ein ehemaliger Auslandskorrespondent des Spiegels ins Ohr flüsterte.

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