Trotz Elon Musk, Zuckerberg und Co: Wir dürfen „das Internet“ nicht aufgeben! Wo ist die Perspektive? #9vor9

Beim heutigen konnte es nur ein Thema geben: Die finalisierte Übernahme von Twitter durch Elon Musk. Lars und ich haben uns die Entstehung ebenso angeschaut wie die wirren Meldungen, die Musk in den vergangenen Tagen abgesondert hat: Geld für den blauen haken, Entlassung des bisherigen Managements, Ankündigung von Massenentlassungen, mit dem Waschbecken in die Firmenzentrale und vieles mehr. All das ist nicht besonders vertrauenerweckend. Hü und hott. Es werden mal schnell Tweets von „Chief Twit“ raus gejagt, die er dann wieder löscht oder löschen muss.

Schon das Hin und Her beim Kauf ist exemplarisch, wie eine Grafik der FAZ (leider hinter der Paywall) zeigt , die die verschiedenen Äußerungen von Musk auf den Börsenkurs der Twitter-Aktie spiegelt. Es zeigt sehr deutlich, wie sprunghaft Musk agiert. Das mag durchaus Methode haben, denn eine ähnliche Art der Kommunikation haben wir ja gerade rund um SpaceX und die Zurverfügungstellung der Satelliten für die Ukraine verfolgen müssen. Musk spielt seine Macht und seine Öffentlichkeitswirksamkeit als reichster Mensch der Welt ungehemmt aus. Dies macht nicht gerade besonders viel Mut.

Besonders bedenklich erscheint dabei sein Bild von Meinungsfreiheit. Im Grunde scheint alles erlaubt. Jeder solle seine Meinung frei äußern dürfen. Klingt nur beim ersten Hören gut, denn auch radikale Äußerungen, Beleidigungen und Hass scheinen bei Musk unter freie Meinungsäußerung zu fallen. Moderation von Inhalten, Löschen bedenklicher Inhalte, Aussperren von Personen, die Hass säen oder andere beleidigen, scheinen Musks Ding nicht zu sein.

Wir mussten in den vergangenen Jahren erfahren, wie gefährlich und manipulativ soziale Netzwerke genutzt werden können und genutzt wurden. Donald Trump ist nur ein Beispiel, wie jemand Lügen verbreitet und Hass im Netz gestreut hat. Gesteuerte Trolle und Bot-Netzwerke haben bereits Unsicherheit geschürt, gewisse politische Entwicklungen befeuert und beeinflusst, vom Brexit über die US-Wahlen bis zur Meinungsmache gerade auch in Deutschland. Putin lässt grüßen.

„Die Zukunft der Demokratie wird im Internet entschieden“, sagt Renate Künast. Viele Politikerinnen und Politiker, die meisten Bürgerinnen und Bürger sind sich noch nicht gegenwärtig, welches teilweise perfide Spiel dort abläuft. Und es ist auch kein „Spiel“, denn es betrifft direkt unsere Demokratie, die Art und Weise, wie wir leben. Genau deshalb braucht es Kontrolle. Und eine solche Kontrolle trauen wir Musk nicht zu. Kontrolle und Moderation will er offensichtlich nicht.

Musk ist nun „Chief Twit“. Zuckerberg besitzt Facebook, Instagram und WhatsApp. TikTok wird im Endeffekt vom chinesischen Staat dominiert. Alle großen sozialen Netzwerke sind in der Hand von nicht unbedingt vertrauenswürdigen und demokratiefreundlichen Personen oder Mächten. Das macht nicht viel Mut, wenn man die Aussage von Renate Künast daneben stellt.

Einige – wie auch Michael Seemann – hoffen, dass es doch nochmals gut geht. Michael hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben:

Auch ich bin ja ein großer Fan von Twitter und nutze es in hohem Maße, um mich zu informieren. Mein Digitaler Wochenrückblick hat sich zu großen Teilen aus meinem Twitter gespeist, denn jenseits von Hass und Hetze gibt es so viele tolle Zwitscherinnen und Zwitscherer, die auf wichtige Informationen aufmerksam machen und selbst relevante Inhalte und Kommentare beitragen. Das würde mir fehlen.

… und ich frage mich, wie viel Dreck und Gestank ich ertragen will und würde. Wenn Räuber und Taschendiebe an jeder Ecke lauern, dann wird es mir wahrscheinlich zu unerträglich. Warten wir es ab. Optimistisch bin ich nicht.

Gibt es Alternativen zu Twitter, Facebook und Co? Aus meiner Sicht noch nicht wirklich. Derzeit wird erneut – wie rund um die Ankündigung der Twitter-Übernahme durch Musk – Mastodon und das Fediverse genannt. Ich bin dort auch wieder aktiver und werde versuchen, dabei zu bleiben. Aber Mastodon ist weder von der Vielfalt und Qualität der Inhalte noch von dort geführten regen Diskussionen und auch nicht von der Reichweite, der Anzahl der Tröterinnen und Tröter eine wirkliche Alternative – eine mehr oder weniger freundliche Jugendherberge, wie es Nicole Diekmann schreibt.

Auch fehlt mir jenseits von Jan Böhmermann die Unterstützung „der Politik“, der Bundesregierung und Ministerien, aller öffentliche Institutionen von der EU bis zur Kommune. Das öffentlich-rechtliche soziale Netzwerk ist weit weg und einen Willen, es massiv zu stärken, sehe ich nicht. Was will man auch von einem FDP-Minister erwarten, der Digitales verantwortet?

Doch aufgeben zählt nicht. Ich nehme die Bücher von Renate Künast und Nicole Diekmann mit in den Urlaub, auch wenn ich mich wieder über Hass, Hetze und Dummheit aufregen werde. Chapeau vor all denen, die den massiven Hass aushalten und sogar noch gegenhalten. Wir dürfen die sozialen Netzwerke und „das Internet“ nicht aufgeben, denn sie sind essentiell und lebenswichtig für eine kritische Öffentlichkeit und unsere Demokratie. Das Netz ergänzt die „normalen Medien“ wie TV, Fernsehen, oder Radio, ersetzt sie bei vielen Jüngeren in weiten Teilen. Das dürfen wir nicht vergessen. Deshalb müssen wir engagiert bleiben. Allerdings fehlen mir – und wahrscheinlich auch Lars – momentan die vielversprechende Zukunftsperspektive und -strategie.

Episode 99 – Über Twitter und den Chief Twit #9vor9 – Die Digitalthemen der Woche

Diese Woche kann es dann wohl nur dieses Thema geben. Wir sprechen über die Twitter-Übernahme durch Elon Musk. Was ist seit der offiziellen Übernahme am Freitag, den 28. Oktober passiert (Spoiler: sehr viel und nicht viel Gutes)? Was wird noch passieren? Und was bedeutet es für Twitter, die Menschen auf Twitter und uns alle? Welche Auswege gibt es? Wir sind eher besorgt und sehen noch keine richtige Lösung. Für uns selber haben wir entschieden: Wir bleiben erstmal auf Twitter und werden das Ganze kritische beobachten. Viel Spaß beim Hören.

Comments

2 Antworten zu „Trotz Elon Musk, Zuckerberg und Co: Wir dürfen „das Internet“ nicht aufgeben! Wo ist die Perspektive? #9vor9”.

  1. Thomas Wedel

    Danke für diese Worte, lieber Stefan. Ich bin in den vielen Jahren, die wir uns nun schon kennen, nicht immer Deiner Meinung gewesen. Im vorliegenden Fall könnten wir aber nicht näher zusammenliegen. Chapeau.

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    1. Wie? Du wars nicht immer meiner Meinung? Wie kann das denn sein????

      Lieben Dank für Deinen Kommentar, lieber Thomas

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