Ja, ja, so blau, blau, blau … – Gedanken zum Bluesky-Hype

9vor9 breit

Die Sonne strahlt azurblau über Bluesky, während viele Mitglieder der Twitter-Blase in Scharen dorthin strömen. Dunkle Wolken hängen dagegen über X, dem ehemaligen Twitter. Mastodon und das Fediverse bleiben trotz offenerer Architektur und Mitwirkungsmöglichkeiten im Nebel verborgen – auch weil Key Player nicht mitmachen.

Es tritt damit genau das ein, wovor seit Jahren gewarnt wurde: Was passiert, wenn ein durchgeknallter Rechtsextremer eine der entscheidenden Social-Media-Plattformen übernimmt?

Martin Fehrensen: Ich haben meinen Account bei Twitter / X gelöscht

Elon Musk, der kontroverse Milliardär, wirft einen langen Schatten über X. Seine gefühlt täglichen Eskapaden, die ich hier im Blog oder auf Mastodon als „Murks der Woche“ bezeichne, zerstören die Plattform Stück für Stück. Seine Einmischung in den deutschen Wahlkampf zugunsten der AfD war der Tropfen, der das Fass bei vielen zum Überlaufen brachte. Frank Hamm nannte es seinen „Überlauf-Tweet“ und verließ Twitter. Die Liste seiner „Verfehlungen“ scheint schier unendlich. Ich zog vor 4 Wochen endlich meine Konsequenzen und löschte meinen Twitter-Account. Am 9. Oktober 2023 ist alles weg. Elon Musk hatte gewonnen.

Durchaus kontrovers ging es bei zum Thema Bluesky zu: Lars Basche freut sich über Fußballblase und andere Blasen, die jetzt rüber gewandert sind. Und ich bin wohl Social-Networking-müde – und ein Idealist.

Gesucht: Ein Twitter, das nicht Musk gehört

Viele Twitter-Nutzer fliehen nun vor der von Musk verursachten Tragödie zu BlueSky – manche mit aber eher kurzem Zwischenstopp auf Zuckerbergs Threads. Einige machen hoffentlich mehr als nur einen Zwischenstopp auf Mastodon. Die Business-Community scheint zu Linkedin abgewandert zu sein und frönt dort langweiligen Tschakka-Nachrichten, Selbstbeweihräucherungen, Promotions und Werbeanzeigen.

Was einige Leute suchen, ist einfach ein Twitter, das nicht Elon Musk gehört.

Ingrid Brodnig laut netzpolitik.org

Aber viele Wissenschaftler und Journalisten, die Twitter geschätzt haben, suchen noch nach einem neuen digitalen Zuhause. BlueSky, ähnlich aufgebaut und leicht zu bedienen, verspricht einen Blick auf für sie relevante Nachrichten. Das war es, was X/Twitter ausmachte: Nachrichten aus der eigenen Community, genau auf die eigenen Bedürfnisse abgestimmt.

Warum begeben wir uns nach Mark Zuckerberg und Elon Musk erneut in Abhängigkeit, diesmal von Jack Dorsey und BlueSky? Was Musk bei X/Twitter macht, könnte auch bei BlueSky oder Threads passieren.

Warum nicht Mastodon?

Warum nicht Mastodon? Es geht meiner Meinung nach nicht um die Technik dahinter. Sicher kann man über Usability und manch fehlendes Feature im Fediverse diskutieren (was derzeit übrigens bei Bluesky gar keine Rolle zu spielen scheint, obwohl noch vieles fehlt.). Doch gerade Funktionen wie die Suche werden gerade nachgeliefert und neue Clients wie die elk.zone bieten eine elegante Oberfläche. Auch kann man sich über manch pampige Belehrung alteingesessener Mastodon-Anwender aufregen, die die Neuen im Fediverse oft nicht gerade freundlich begrüßen.

Es ist sehr schade, dass das Fediverse noch nicht soweit ist, denn eine gemeinwohlorientierte alternative und dezentrale Kommunikations-infrastruktur ohne diese intransparenten Werbe-mechanismen ist wichtig für eine sich entwickelnde digitale Öffentlichkeit.

Markus Beckedahl: Der Exodus von Twitter zu Bluesky und die Hoffnung, netzpolitik.org

Doch die Gründe, warum Mastodon und das Fediverse nicht wirklich durchstarten und auch wohl bewusst in der Geschäftspresse klein geschrieben werden, liegen meiner Ansicht nach wo anders. Es geht darum, dass große Institutionen, wie die öffentliche Verwaltung und die EU, hinter dem Fediverse stehen und es mit Inhalten bespielen müssen. Das fehlt weitgehend.

Gerade die Journalisten-Blase und die Verlage gehen leider nicht auf Mastodon, um dort Verantwortung zu übernehmen. Dabei bietet das Fediverse riesige Chancen, sich zu positionieren und unabhängiger von Musk, Google und Konsorten zu machen. Stattdessen begibt man sich erneut in die Hand eines kommerziellen Unternehmens und privater Unternehmer, statt auf ein offenes Protokoll und wirklich dezentrale Architektur zu setzen, ja selbst ein Anbieter im Fediverse zu werden. Das Fediverse bietet Journalisten und Verlagen mehr Unabhängigkeit und Kontrolle über ihre Inhalte. Zudem ist es weniger anfällig für Zensur und Manipulation.

Das ist auch meine Antwort an Volker Weber, der mich auf Mastodon gefragt hat, was denn Journalisten auf Mastodon sollen. Er sieht Fediverse als Netzwerk nur für technikbegeisterte Nerds und Nutzer. Das Fediverse kann eine wichtige Alternative zu zentralisierten und kommerz-getriebenen Plattformen wie X/Twitter, Facebook/Threads oder Bluesky sein. Es bietet die Möglichkeit, einen unabhängigen Raum für den öffentlichen Diskurs zu schaffen, in Zusammenarbeit mit Institutionen und Verlagen. Bin ich deshalb ein Idealist, wie es Volker schreibt? Mag sein, aber ich sehe die Notwendigkeit, sich von monopolistischen Plattformen und ihren allein bestimmenden Eigentümern zu lösen.

Warum also jetzt Bluesky?

Es wird eine nostalgisch verklärte Version von Twitter verkauft.

Luca Hammer laut netzpolitik.org

Warum also jetzt der Hype um Zugang zu und den Run auf Bluesky? Die Motive der Anwenderinnen und Anwender sind wohl vielfältig. Elon Musk und seine Handlungen sind sicher ein Grund. Aber es spielen auch andere Motive eine Rolle. Erinnert Ihr Euch an den Hype um Threads, das schon als Nachfolger von Twitter postuliert wurden (und das noch immer nicht in Europa verfügbar ist)? Die Blase ist schnell geplatzt. Ich habe den Eindruck, dass solche Wellen bewußt gerade auch in den Medien losgetreten werden.

Die große Masse der Twitter-User laufe gerade langsam, aber sicher auf Bluesky ein, so der Tenor in vielen Berichten. Bluesky verspricht in Abgrenzung zu X und Musk einen offenen und auch dezentralen Ansatz. Keine einzelne Autorität wie Musk bei Twitter könne das Geschehen und die Vorschriften diktieren. Doch interessiert das eigentlich den gemeinen User? Die begeben „sich bereitwillig in die Arme einer der wohl intransparentesten Plattformen der Social Media Welt“, so Sascha Pallenberg.

Das scheint mir auch für die Datenschutzbedenken zu gelten , die von Patrick Breyer auf Basis der Data Privacy Policy von Bluesky sind vielfältig. Zu den Bedenken gehören ein anonymer Lesezugriff, das Ausspionieren und Tracking des gesamten Nutzungsverhaltens inklusive der IP-Adresse, die Verwendung externer Tracker sowie der potenzielle Abfluss von Personendaten in die USA. Auch daran nehmen viele Nutzer scheinbar wenig Anstoß. Man hat ja nichts zu verbergen …

Anders als Meta oder X will Bluesky nach eigenem Bekunden sein Geld nicht in erster Linie mit Werbung verdienen. Stattdessen soll es kostenpflichtige Angebote für Nutzer geben. Schauen wir mal, ob Anwenderinnen und Anwender bereit sind zu zahlen und ob sich das Geschäftsmodell rechnet. Bluesky ist ein profitorientiertes Unternehmen und man wird sehen, was passiert, wenn so bald keine Profite sprudeln.

Mein erster Eindruck von Bluesky

Ich habe es dann doch getan, schaue mir Bluesky an. Mein erster Eindruck ist sehr durchwachsen gemischt. Die Timeline erinnert mich an das Netzwerk, das ich gerade verlassen habe. Mich schrecken Diskussionen ab, die sich um Siezen und das Netz-Du, Trolle und Spinner, die man blocken solle, rechte Inhalte, die zu ignorieren sind, drehen. Sascha Pallenberg beschreibt sehr treffend in seinem Newsletter die „Egowichserei“ und Follow-Spielchen.

Same, same, not different auf Bluesky. Es ist ein erster Eindruck, nicht mehr und nicht weniger. Und vielleicht bin ich auch einfach Social Networking-überdrüssig.

Endlich gibt es mal etwas Kontroverse bei 9vor9. Wir reden über Bluesky und Stefan findet es im Großen und Ganzen doof bzw. sieht teilweise die schlechten Zeiten von Twitter wieder aufkommen. Lars stimmt dem zwar grundsätzlich zu, hat aber nichtsdestotrotz ein eher positives Bild von Bluesky. Ist es das neue Twitter? Warum reden derzeit alle darüber? Und was hat das mit Mastodon zu tun? Wir reden drüber. Viel Spaß beim Hören.

Weitere Quellen und Zitate

Zu Twitter:

Twitter hatte für viele auch den Zweck, sich über Nachrichten zu informieren, die nicht über den dpa-Ticker gelaufen sind: internationale und Bewegungs-News und spezifische Themen. Über die Algorithmen konnte ich relativ sicher sein, dass ich relevante Entwicklungen auch mitkriege, wenn ich tagsüber arbeiten muss.

Anne Roth, in: Warum Bluesky gerade durch die Decke geht – und was Mastodon daraus lernen kann, netzpolitik.org

Zu Belehreritis auf Mastodon:

Sehr, sehr häufig gibt es zu Posts bei Mastodon ungebetene Erklärungen, oft von oben herab, klassisches Mansplaining.

Anne Roth, in: Warum Bluesky gerade durch die Decke geht – und was Mastodon daraus lernen kann, netzpolitik.org

Wird es besser mit Bluesky?

Bluesky ist das Social Network der Stunde. In der vergangenen Woche gab es einen massiven Nutzer:innen-Exodus von Twitter in Richtung des blauen Himmels. Das habe ich so bisher noch nicht erlebt. Aber ich habe dennoch leider wenig Hoffnung, dass sich dadurch etwas zum Besseren ändert.

Markus Beckedahl: Der Exodus von Twitter zu Bluesky und die Hoffnung, netzpolitik.org

Die Titelgrafik wurde erneut mit Dall-E aufgrund meiner Prompts erstellt. Von links, der blaue Himmel, in der Mitte Gewitter über X und rechts schaut das Mastodon aus dem Nebel.

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