„Ich habe mich so aufgeregt. Ich habe immer noch Puls“, sagt Lars zu Beginn unseres Podcasts #9vor9 – und das will beim Stoiker aus dem Norden ja was heißen. Dass ich mich echauffiere, das ist ja quasi normal und meine Rolle bei #9vor9, aber Lars? Na, um was geht es in unserem Gespräch? Nein, Lars hat sich nicht über das inhalts- und belanglose Blabla von Alice Weidel und Elon Murks aufgeregt.
Es geht um Mark Zuckerberg und Facebook. Der kündigte am 7. Januar 2025 eine radikale Kehrtwende bei der Content-Moderation seiner Meta-Plattformen an. Der Konzern wird zuerst in den USA auf unabhängige Faktenchecker verzichten. „Es ist Zeit, zu unseren Wurzeln der freien Meinungsäußerung zurückzukehren“, so Zuckerberg. Laut dem Tech-Konzern gibt es bei Facebook (derzeit) keine Pläne, das Faktencheck-Programm in Deutschland unmittelbar zu beenden. Ein Ende nach 2025 wird jedoch von vielen Beobachtern als wahrscheinlich angesehen.
Die bisherigen komplexen Moderationssysteme hätten zu viele Fehler gemacht und zu viel Zensur ausgeübt, so Zuckerberg. Meta, der Konzern hinter Facebook und Instagram, vollzieht eine radikale Kehrtwende und knickt vor dem zukünftigen US-Präsidenten Donald Trump ein.
Was ist bei Meta passiert?
Hier eine kurze Beschreibung. Wer die Fakten kennt, kann unten weiterlesen. Statt auf Faktenchecker setzt Meta nun auf ein System von Community Notes, ähnlich wie es bereits bei X praktiziert wird. Die Moderationsrichtlinien werden deutlich entkräftet, besonders bei kontroversen Themen wie Migration und Gender. Auch die automatischen Content-Filter, die bisher proaktiv problematische Inhalte identifizierten, werden stark zurückgefahren.
Zuckerberg begründet dies in einem Video auf Facebook damit, dass bisherige Beschränkungen „nicht mehr im Einklang mit dem Mainstream-Diskurs“ stehen. Im Zuge dieser Neuausrichtung kommt es auch zu organisatorischen Veränderungen. Das für Plattformsicherheit zuständige Trust & Safety Team wird von Kalifornien nach Texas verlegt – eine Maßnahme, die laut Zuckerberg helfen soll, „Vertrauen zu schaffen“ und Vorwürfe der politischen Voreingenommenheit zu entkräften. Es lebe der Wilde Westen!
Parallel dazu verstärkt Meta seine Führungsriege mit Trump-nahen Persönlichkeiten: Dana White, Chef der Kampfsportliga UFC und prominenter Trump-Unterstützer, wird in den Verwaltungsrat berufen. Die Position des globalen Politikchefs übernimmt der einflussreiche Republikaner Joel Kaplan.
Trump die Hand geben und man scheint infiziert zu sein
Mark Zuckerberg ist bei weitem nicht der einzige Vertreter der Tech-Welt, der sich Donald Trump annähert. Ähnlich wie bei Musk hat sich wohl auch bei Zuckerberg die Weltanschauung geändert. Fast scheint es so, als ob alle Tech-Milliardäre, die Trump einmal unterstützt haben, mit einem Virus infiziert werden …
Nicht nur das. Zuckerberg spendet für die Inauguration von Trump am 20. Januar mal ein Milliönchen. Er befindet sich in „guter Gesellschaft“: Auch Amazon, Disney, Apple und einige andere Konzerne vollziehen die Kehrtwende. Es ist ein offensichtliches Signal mit der Hoffnung, dass durch Trump weniger Regeln, dafür mehr Umsatz gemacht werden kann. Der Startup-Investor Philipp Klöckner kommentiert im Manager Magazin:
Für die Demokratie ist das schlecht – aber leider wohl auch genau das, was die Shareholder von Zuckerberg erwarten würden.
Mark Zuckerberg: Was hinter der Metamorphose zum Möchtegern-Musk steckt – eine Kolumne – manager
Ach ja, die Shareholder … Hauptsache, der Rubel rollt. Alles andere scheint ziemlich egal zu sein. Der neue Geist zieht auch auf anderen Gebieten in US-amerikanische Unternehmen ein: Programme rund um Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion sind nicht mehr en woke, äh vogue.
Die EU und die Regulation sind der Feind, sind Zensur
Besonders scharf attackiert Mark Zuckerberg die EU, die durch eine stetig wachsende Zahl von Gesetzen eine systematische Zensur zu institutionalisierten. Diese Regulierungen würden nicht nur die freie Meinungsäußerung einschränken, sondern auch Innovationen im digitalen Sektor verhindern. Zuckerberg kündigte zudem eine enge Zusammenarbeit mit Donald Trump (sowie J.D. Vance und Elon Musk) an, um gegen Regierungen vorzugehen, die „amerikanische Unternehmen zensieren“. Diese kaum verhüllte Drohung richtet sich direkt gegen die EU und ihre Bemühungen, Social-Media-Plattformen stärker zu regulieren.
Musk mischt sich unterdessen direkt in europäische und auch deutsche Belange ein und versucht, die liberale Demokratie westlicher Prägung zu torpedieren und die demokratischen Parteien und Politiker zu diskreditieren. Das Gespräch mit Weidel ist nur ein Beispiel. Auch wenn es inhaltslos war und gar nicht so viele Leute erreicht hat, landet die Nachricht darüber auf den Titelseiten der Medien und wird in den sozialen Medien geteilt. Die Algorithmen der Plattformen belohnen Aufregung, Empörung, Wut, Hass, Hetze. Das ist das Geschäftsmodell fast aller Social-Media-Konzerne.
Das ist die Gefahr; Facebook und Instagram haben viel mehr User als X
Zuckerbergs Kotau ist jedoch deshalb besonders bitter, weil Meta mit Facebook und Instagram Milliarden von Nutzern erreicht – deutlich mehr als etwa die Plattform X (ehemals Twitter). Im Dezember 2024 hatte Facebook trotz stagnierender Nutzerzahlen einen Marktanteil von 63,9 Prozent an den Seitenaufrufen und blieb damit weltweiter Marktführer unter den Social-Media-Plattformen, gefolgt von Instagram.
In Politik, Medien, sozialen Medien und an europäischen Stammtischen wird nun diskutiert, was wir gegen die Exzesse von Herrn Musk, gegen Hass, Hetze und Fake News auf den Social-Media-Plattformen tun sollten und tun können. Die EU hat ja den Digital Services Act (DSA) in Kraft gesetzt. Der DSA schreibt klare Regeln für den Umgang mit Desinformation und illegalen Inhalten vor. Plattformen, die sich nicht an diese Regeln halten, müssen mit hohen Strafen rechnen, die bis zu sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes betragen können.
Kann sich die EU gegen Trump und die US-Plattformen durchsetzen?
Doch kann die EU das auch durchsetzen? Aus den USA kamen ja bereits Drohungen, dass solche Maßnahmen gar zum Austritt aus der NATO führen könnten. Es gibt einige Aussagen, die darauf hindeuten, dass die EU und europäische Politiker möglicherweise bereits Zurückhaltung im Umgang mit Meta und X üben, weil sie Sanktionen durch die neue US-Regierung unter Trump befürchten. Nicht nur im Bundeskanzleramt wird sicherlich darüber diskutiert: Wie sehr kann ich mich mit Trump anlegen? Wie weit kann ich gehen?
In Deutschland gibt es unterdessen Forderungen, sich nicht nur auf die EU und DSA zu verlassen, sondern auch das deutsche Presserecht auf Social-Media-Plattformen anzuwenden. Florian Harms, Chefredakteur des Nachrichtenportals T-Online, hat dazu eine klare Meinung:
Statt den inneren Frieden zu verteidigen, schauen die politischen Entscheider zu, wie Digitaloligarchen vom Schlage Musk (X), Zuckerberg (Facebook/Instagram), Pichai (Google/YouTube) und Chew (TikTok) Abermillionen Menschen mit Zerstreuungskram überfluten, mit Gerüchten verunsichern, gegeneinander aufhetzen – und damit enorme Summen verdienen. Bislang hat kein Politiker den Mumm, den Milliardären mit der Sperrung ihrer Plattformen in Europa zu drohen, wenn sie nicht wenigstens rudimentäre presserechtliche Regeln befolgen, wie sie Zeitungen, Fernsehsender, Radio und News-Websites selbstverständlich einhalten müssen. Diese Hasenfüßigkeit ist erbärmlich.
Trump, Google, Deutschland: Eine Zäsur
Ganz persönlich: Auf Facebook und Instagram bleiben oder besser gehen?
Lars und ich haben uns zum Abschluss von #9vor9 ganz konkret die Frage gestellt, was wir persönlich nun tun. Gehen wir jetzt von Facebook weg? Gehen wir von Instagram und Threads weg? X haben wir beide verlassen, und vor einigen Wochen haben wir noch angeprangert, dass Robert Habeck zurück auf X gegangen ist, um den rechten Lautsprechern nicht das Feld zu überlassen. Wir haben das als chancenlos bewertet. Gegen Musk und seine Algorithmen hat auch Habeck keine Chance.
Ich habe Facebook schon einmal wegen der Nutzung, Verknüpfung und Monetarisierung verlassen. Meta verdient damit einfach sein Geld. Ich bin dann wieder zurück, weil einige Bekannte und Freunde – vor allem in meinem Alter – nur dort präsent sind. Sie sind auf Facebook. Sie sind auch auf Instagram (wegen der bunten Bildchen). Sie waren nie auf X. Sie sind nicht auf Threads oder gar den „Elitenetzwerken“ Bluesky oder Mastodon. Sie wollen lokale Nachrichten, Interessengruppen und persönlichen Austausch. Das scheint nur Facebook zu bieten. Und ich bin dorthin zurückgegangen, weil ich sie nur dort mit meinen Blogbeiträgen oder #9vor9 erreiche. Sie werden wahrscheinlich nie direkt auf meinem Blog landen oder durch die genannten „Special-Interest-Kanäle“ dorthin gelangen.
Wir bleiben erst mal und zeigen die demokratische Flagge
Was tun, wenn die rechte Gülle jetzt verstärkt auf Facebook und Instagram ausgeschüttet wird? Wir – Lars und ich – haben uns dafür entschieden, erst einmal auf den Meta-Plattformen zu bleiben und unsere Artikel dort zu publizieren. Wir werden aber die Situation genau beobachten und über Konsequenzen nachdenken, falls es in die falsche Richtung geht. Gerade angesichts der anstehenden Bundestagswahl und einer Radikalisierung auch in Deutschland ist es vielleicht sogar wichtig, weiterhin auf Facebook, Instagram und Threads die demokratische Flagge zu zeigen. Wir überschätzen unseren Einfluss nicht, unsere Reichweite ist überschaubar, aber jedes bisschen hilft. Es ist unsere Verantwortung und Pflicht, für demokratische Werte gegen Hass, Falschnachrichten, Propaganda, Oligarchen und Autokraten einzutreten. 1933 haben das viel zu wenige getan.
"Free Speech" statt Faktencheck – Mark Zuckerberg kapituliert vor Trump – #9vor9 – Die Digitalthemen der Woche
Technische Fussnoten
Diese Ausgabe von #9vor9 haben wir erstmals mit der Software Riverside – und nicht mit Ecamm – aufgenommen. Wir werden die Software weiter testen.
Auf YouTube ist #9vor9 jetzt in einen eigenen Kanal gewandert. Dort könnt Ihr ab sofort die Videos abonnieren. Die Podcast-Version gibt es weiter auf Podigee und den bekanntenPodcast-Catchern.
Vorbereitet haben wir die Sendung diesmal mit Notebook LM von Google. Dort wurden alle Quellen gesammelt und ausgewertet. Hier findet Ihr meinen Beitrag, was man damit alles tun kann.


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