Radikalisierung durch Propaganda: Bloß nicht wieder unterschätzen

Wochenschau links breit

Diese Wochenschau möchte ich auf ein Thema fokussieren: Wie gehen wir medial mit der AfD und anderen Radikalen um? Wie entlarven ihre Parolen, Schweinwahrheiten und Lügengebäude? Das ist in 2024 ein ganz zentrales Thema, wenn wir uns die anstehenden Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen anschauen. Das ist in 2024 ein Thema, um weitere Gewaltausschreitungen, wie wir sie gerade von Wutbauern gesehen haben, zu bekämpfen.

Annika Schneider hat dazu in der Altpapier-Kolumne des MDR eine sehr lesenswerte Kolumne geschrieben. Sie versucht Antworten zu geben, wie Journalistinnen und Journalisten mit der AfD umgehen sollten. Ist es einfach eine Partei wie jede andere und muss deshalb fair behandelt werden? Können „die Medien“ und die Journalistinnen und Journalisten eh nichts tun? Eine sehr bequeme Antwort, die man auch gerne bei anderen Themen – z.B. Klimakrise – gerne hört.

Aber zu kurz gesprungen, finde ich:

Denn für die Strateginnen und Strategen der AfD ist es Teil ihres Plans, Medien für ihre Zwecke einzuspannen. Wenn es für sie gut läuft, setzen sie Themen und dominieren Debatten, dirigieren Gefühlslagen, generieren Aufmerksamkeit und erschaffen ein mediales, verharmlosendes Zerrbild ihrer selbst.

Source: Der Altpapier-Jahresrückblick am 2. Januar 2024 – Viel Sendezeit für Demokratiefeinde | MDR.DE

Viele Fernsehinterviews mit AfD’lerinnen und AfD’lern liefen zudem – um es vorsichtig zu formulieren – nicht gerade optimal, angefangen vom Sommer-Interview mit Höcke bis zum Lanz-Gespräch mit Chrupalla. Man hat den Eindruck, dass Moderatorinnen und Moderationen und deren Redaktionen die AfD’ler und deren rhetorische Fähigkeiten einfach unterschätzen. „Radikalen Klartext reden Höcke oder Weidel bevorzugt vor eigenen Anhängern“, so Michael Kraske im Journalist. In den Interviews wird eher weichgespült. Einfache „Wahrheiten“ werden wiedergekäut, immer wieder. Ein altes Rezept der Nazis.

Ich gebe zu, dass ich besorgt bin, wenn ich dann lese, dass eine Caren Miosga plant, mehr AfD-Gäste in die von ihr moderierte Nachfolgesendung von Anne Will einladen will. Kann das gut gehen? Ist das die richtige Vorgehensweise oder bietet man nur wieder eine Bühne für die Rechtsradikalen und deren Aussagen? Schwierig.

Schon die Nazis waren Meister der Emotionalisierung durch Propaganda

Auf jeden Fall müssen wir alle aufhören, die Medienkompetenzen und -strategien und sprachlichen Fähigkeiten der AfD-Funktionäre zu unterschätzen.

In der deutschen Geschichte hatten wir schon einmal Nazis, die die Klaviatur der damals wichtigsten Medien beherrschten. Ich habe mich in meinem Studium vor vielen Jahren mit der Entstehung der modernen Öffentlichkeit und Presse sowie mit Göbbels und dessen Propagandamaschine befasst. Lasst uns die Nazis nicht noch einmal auf die leichte Schulter nehmen und glauben, man könne sie „einhegen“ oder mit ihnen zusammenarbeiten! Das hat damals nicht funktioniert. Lernen wir daraus.

Keine andere politische Bewegung hat die Kunst der Propaganda so gut verstanden wie die Nationalsozialisten. Von Anfang an hat es Herz und Seele in die Propaganda gesteckt.

Source: Joseph Goebbels über Propaganda (1931) *

Lügengebäude und Scheinwahrheiten immer wieder entlarven

Journalistinnen und Journalisten, die der Meinungsfreiheit und Demokratie verpflichtet sind, und alle, die nie wieder eine Nazidiktatur mit ihren Folgen haben wollen, stehen in der Verantwortung, deren Lügen zu entlarven.

Im Journalismus sind knallharte Recherche, Faktenchecks, exzellente Vorbereitung auf Interviews, schonungslose Reportagen und klare Kommentare (und Kante) gefragt.

Wir müssen jedoch den Blickwinkel über die klassischen Medien hinaus erweitern. Es geht nicht nur um Berichte und Interviews in den öffentlich-rechtlichen und Qualitätsmedien – die Springer-Presse habe ich eh abgeschrieben. Es geht heutzutage auch um TikTok und Instagram, um die sozialen Kanäle, auf denen sich gerade viele junge Leute aufhalten. Ich habe meine Eindrücke beschrieben, wie ich quasi von AfD-Nachrichten und -Sprechern auf TikTok überflutet wurde. Nicht nur mir wird es so gehen.

Was es von allen anderen politischen Parteien unterscheidet, ist die Fähigkeit, in die Seele des Volkes zu sehen und die Sprache des Mannes auf der Straße zu sprechen. Es nutzt alle Mittel der modernen Technologie. Flugblätter, Flugblätter, Plakate, Massendemonstrationen, Presse, Bühne, Film und Radio – all dies sind Werkzeuge unserer Propaganda.

Source: Joseph Goebbels über Propaganda (1931) *

Da sind wir wieder bei der Klaviatur. Auch hier dürfen wir die Nazis nicht lapidar als rechte Spinner abtun. Ihre Ansichten sind spinnert, ihre medialen Strategien sind es nicht. Gerade auch in den sozialen Kanälen müssen die Medien, die Parteien und jeder, der eine demokratische Gesinnung hat, dagegenhalten. Ich habe den Eindruck, dass gerade die „alten Parteien“ erheblichen Nachholbedarf haben. Und wir müssen wieder zu einer Diskussionskultur kommen, wo nicht gleich Wut und Hass emotionalisieren und polarisieren. Genau das wollen die Nazis.

Herr Merz: Nicht Trump kopieren und der AfD so einfach in die Hände spielen

Leider spielen CDU/CSU der AfD wohl genau in die Hände, indem sie Wahlkampfstrategien von Donald Trump beziehungsweise dessen damaligem Strategen Steve Bannon zu kopieren versuchen. Ich habe jedoch große Zweifel, dass das Kalkül aufgeht, der AfD durch das Verwenden populistischer Feindbilder wirklich das Wasser und die Wählerinnen und Wähler abzugraben kann. Vielleicht spielt man ihnen gar in die Karten. In den Köpfen eingepflanzte Hassbilder führen zu entsprechenden Gewalttaten und Grenzüberschreitungen, wie wir in den USA nicht nur beim Sturm auf das Kapitol gesehen haben. Und wir erleben gerade auch in Deutschland, wie die Mauer zwischen politischer Auseinandersetzung und Gewalt mehr als nur bröckelt.

Sicher sind nicht nur die Parteien und die vierte Gewalt gefordert, sich mit den Nazis auseinanderzusetzen, sie anzuprangern und zu entlarven. Es ist eine Aufgabe für alle Demokratinnen und Demokraten, die mühselig ist und sein wird. Wer nicht wieder eine Nazidiktatur haben will, muss wohl die Zivilcourage zeigen, auch wenn es schwer fällt. Nochmals ausdrücklichen Dank an die beiden Fußballtrainer Christian Streich und Frank Schmidt, die klar Stellung bezogen haben. Mehr davon! Es ist fünf vor zwölf, aber noch nicht zu spät.

Wie holen wir Wählerinnen und Wähler zurück?

P.S. Eine Frage habe ich hier nicht behandelt, die aber essentiell ist: Wie holen wir Wählerinnen und Wähler wieder zurück in die demokratische Mitte.

Nachtrag vom 7.1.2024: „Ich wünsche uns demokratischen Auftrieb.“ – Heribert Prantl

Ich konnte es nicht ahnen: Auch der Heribert Prantl zitiert in seiner wöchentlichen Kolumne Prantls Blick Goebbels, der die Demokraten verhöhnte, die die gewählten NS-Abgeordneten aufgrund der Verfassung noch schützten, und stellt die Frage, ob unsere Parteien jenseits des Alltagsgeschäfts einen anderen Fokus setzen sollten:

Ist nicht, frage ich mich, eine wirksame Neonazi-Bremse viel, viel wichtiger? Ist sie nicht angesichts der drohenden rechtsextremen Gefahren so wichtig, dass alle demokratischen Parteien daran arbeiten müssten, eine solche Bremse zu konstruieren?

Source: Süddeutsche Zeitung

Bei den Opportunisten Merz, Söder, Lindner und Co habe ich meine Zweifel. Heribert Prantl schließt:

Ich wünsche mir, ich wünsche uns, dass das Neue Jahr besser wird, als wir es befürchten. Ich wünsche uns demokratischen Auftrieb.

* Die Goebbels-Zitate stammen von Alpha History, einer in Australien ansässige Gruppe, die kostenlose und kostengünstige Ressourcen zur Unterstützung des Lehrens, Lernens und Studiums der Geschichte bereitstellt.

Sendehinweis: Zum Abschluss noch ein kurzer Hinweis zu einem Thema, das angesichts des gerade geschriebenen trivial erscheint. Lars Basche und ich werden am 9. Januar um 8:51 Uhr bei über das soziale Netzwerk Threads sprechen. Live zu sehen auf YouTube oder unter meinem LinkedIn-Account.

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