Das Enterprise 2.0: Die Mauern werden fallen

Am heutigen 8. Juni 2010 geht in Berlin die DNUG Frühjahrskonferenz, das Treffen der deutschen Lotus-Anwender, los. Im Vorfeld hatte ich einige Gespräche mit Kevin Cavanaugh und Ed Brill, die heute die Keynote halten. Kevin brachte den Satz „Breaking down the walls of the Enterprise“ in die Diskussion und seine Präsentation wird unter diesem Motto stehen. Und ich glaube, daß dieser Satz aus vielerlei Gründen die jetzige Situation beschreibt. Ganz banal passt er natürlich zum Veranstaltungsort Berlin.

Deshalb habe ich ihn in „Die Mauern werden fallen“ umformuliert. Ich schreibe auch bewusst werden statt müssen, denn ich bin der festen Überzeugung, daß diese Entwicklung nicht mehr aufzuhalten ist. Es gibt einige Megatrends, die dazu beitragen, daß die Unternehmensmauern fallen. Einige sind technologischer Art, einige kultureller. In der Kombination von Kultur und Technologie entsteht aus meiner Sicht die besondere Sprengkraft.

Trend 1: Cloud Computing wird die bisherige IT umkrempeln. Immer mehr Lösungen wandern in die Cloud. Vielleicht derzeit noch relevanter: Immer mehr Daten wandern in die Cloud. Das erleben wir ganz massiv schon im privaten Umfeld. Canonical bietet Ubuntu-Anwendern Speicherplatz in der Cloud. Stratos macht ein entsprechendes Angebot. Wer einen Asus Eee PC Tablet kauft, bekommt Speicher in der Asus-Wolke. Zwar herrscht noch eine gewisse Skepsis, seine Daten nur der Wolke anzuvertrauen, aber die Tendenz ist eindeutig. Und Lösungen wie Dropbox bieten ja durchaus eine elegante Mischung von lokaler und wolkiger Speicherung.

Machen sich viele Anwender noch Gedanken, ihre Dateien in der Wolke zu speichern, so haben  doch heute fast jeder (mindestens) ein privates Webmail-Konto. Und auch dort werden in der Regel Daten gespeichert. E-Mails und E-Mail-Anhänge. Dienste wie Flickr sind für Fotos akzeptiert. Und es gibt eine Unzahl von Lösungen, die privat aus der Cloud genutzt werden. Solche Services sind unterdessen oft eine Selbstverständlichkeit, über die gar nicht mehr nachgedacht wird.

Die Privatanwender sind gewohnt, die Cloud zu nutzen. Und dieser Trend wird sich auch in die professionelle IT übertragen. In den vergangenen Jahren gab es keinen wirklichen wirtschaftlichen Grund, ein E-Mail-System zu wechseln. Entsprechende Migrationen von System A auf System B waren immer entweder politisch motiviert oder kamen durch Firmenzusammenschlüsse und sich daran anschließende Standardisierungsbemühungen zustande. Jetzt, wo Webmail-Lösungen gehostet in der Cloud verfügbar sind, gibt es zumindest mal den Anlaß über die Kosten einer Inhouse-Lösung im Vergleich zu einer Cloud-basierten Lösung nachzudenken. Natürlich gehen solche Überlegungen auch an das Selbstverständnis der IT Abteilung und lösen dort Existenzängste aus. Verlassen Server und damit auch Arbeitsplätze das Unternehmen? Und solche Bedenken sind auch menschlich natürlich nur zu verständlich.

Unternehmensübergreifende Zusammenarbeit – neudeutsch Kollaboration – ist ein weiteres Thema, das durch die Cloud ideal adressiert werden kann. Ich kann mit meinen Kunden, Lieferanten, Geschäftspartnern Dokumente, Daten, Termine, Projekte gemeinsam in der Cloud bearbeiten, in einer sicheren Umgebung, jenseits der für solche Aufgaben ungeeigneten E-Mail-Inbox. Die Liste möglicher interessanter Lösungen lässt sich beliebig fortsetzen. Dies sind Themen, die in meinem persönlichen Arbeitsumfeld gerade aktuell sind und wozu wir ja auch mit Pierre Audoin Consulting aktuell eine White Paper erstellt haben.

Trend 2: Das Thema Zusammenarbeit in der Cloud führt mich zum zweiten Megatrend: Soziale Netzwerke knabbern an den Mauern des herkömmlichen Unternehmens. Wir haben in den vergangenen Jahren in Deutschland beobachten können, wie sich XING zu einem Geschäftsnetzwerk entwickelt hat, auf dem Kontakte gehegt und gepflegt werden. Neben der Funktion von XING als Marktplatz für neue Jobs werden dort auch Geschäftskontakte und neue „Opportunities“ identifiziert. Das geschieht in den Diskussionsforen und -gruppen, wo man desöfteren identifizieren kann, wer gerade welches Projekt startet und wen man deshalb einmal anrufen könnte. LinkedIn spielt international diese Rolle, konnte sich aber bis dato noch nicht in Deutschland durchsetzen. Facebook ist dann doch eher noch das private soziale Netzwerk.

Ich glaube, dass sich solche sozialen Netzwerke frei nach dem Cluetrain Manifest immer mehr auch zu geschäftlichen Marktplätzen entwickeln werden, auf denen diskutiert, gefeilscht und gehandelt werden wird. Im Rahmen der sozialen Netze werden auch vermehrt professionelle Services zur Verfügung stehen, die in der Regel nicht vom Betreiber des Netzwerkes stammen, sondern von – der Kreis schließt sich – Anbietern aus der Cloud zur Verfügung gestellt werden. Dies reicht dann von der Lösung für Online Meetings über Instant Messaging und File Sharing bis hin zu professionellen Projektmanagement-Angeboten. Das Interessante daran ist, daß quasi private oder semiprofessionelle Netze und professionelle Cloud Offerings zu Lösungen kombiniert werden. Dabei handelt es sich dann um eine Lösungsarchitektur, die Services verschiedener Anbieter kombiniert, eventuell auch mit konventionellen On Premise-Lösungen aus der Unternehmens-IT.

Aber dies führt vom Thema Soziale Netzwerke und deren Sprengkraft weg. Ich denke, man kann und muß den Blick auch über die sozialen Netzwerke hinaus generell in das Web 2.0 richten. Das, was man gemeinhin eben Web 2.0 nennt, hat den Umgang vieler Menschen mit IT Services wie Chatten, E-Mail, aber auch in der Vernetzung und Kommunikation mit anderen dramatisch verändert. Und diese Erfahrung aus dem privaten Umfeld wird Einfluß auf Unternehmen, deren Kultur und Organisation haben. Nicht nur, aber gerade die jungen Digital Natives tragen eine neue Kultur der Kommunikation in die Unternehmen hinein und rütteln an den Mauern der herkömmlichen Unternehmensorganisation.

Trend 3: Eng verbunden mit dem Web 2.0 sind auch Trends zur Neu- und Umorganisation des Arbeitslebens. Mir wurde während des Lotus JamCamps eigentlich erst richtig klar, wie fortschrittlich ich in der IBM arbeiten darf. So ich keine Termine und Verpflichtungen habe, sitze ich zu Hause in meinem HomeOffice und erledige von dort aus meine Arbeit. Dafür ich hab alle technischen Möglichkeiten, um effizient mit Kollegen, Kunden, Partnern oder Presse zu kommunizieren und mit ihnen zusammenzuarbeiten, Informationen zu teilen und gemeinsam zu bearbeiten. Übrigens hier auch wieder durchaus unternehmensübergreifend. Das Projekt Lotus JamCamp haben wir – IBM’er, externe Dienstleister und Kooperationspartner – über die Cloud abgewickelt.

Aber mindestens genau so wichtig wie die Technologie ist die Akzeptanz im Unternehmen, dass zu Hause arbeiten nicht faulenzen bedeutet. Ich habe ja schon an anderer Stelle darüber berichtet, wie manche Führungskraft Heimarbeit durchaus kritisch beäugt. Und Heimarbeit bedeutet sicher auch Eigenverantwortung und Selbstdisziplin. Den Rasen kann man tagsüber nur dann mähen, wenn keine parallelen Aufgaben, Termine oder Telefonkonferenzen anliegen. Viele Freunde und Bekannte haben schon mit einem gewissen Unterton bemerkt „Wie kannst Du nur zu hause arbeiten und die Disziplin dazu aufbringen. Ich könnte das nicht.“ Ja, als derjenige, der zu hause arbeitet, muss man sich schon auch darüber klar sein, daß man auch dann seine Ergebnisse liefern muß. Uwe Hauck hat einmal schön einen meiner Blogposts dazu auf Facebook kommentiert: „Auch wir müssen endlich weg vom Arbeiten um beschäftigt und körperlich präsent zu sein hin zum ergebnisorientierten Arbeiten.“ Trends und Konzepte wie Crowdsourcing und Coworking tragen weiterhin dazu bei, dass an den Mauern des konventionellen Unternehmens genagt wird. Zwar dürfte deren Einfluss noch nicht dramatisch sein, jedoch dienen sie durchaus als Katalysator neuer Ideen und Arbeitsformen. Und vergessen wir auch nicht die zunehmende Globalisierung der Arbeit. Shared Service Center in Indien, auf den Philippinen und in Osteuropa sind in vielen Unternehmen Realität.

2010: Thorsten Zoerner, Lars Basche und Peter Schütt am Smartphone …

Trend 4: Und last but not least sehe ich die Mobilisierung der Informationen durch Smart Phones und künftig Tablets als einen weiteren wichtigen Trend an. Auch dies hat wiederum die technologische und kulturelle Komponente. Vor einigen Jahren haben wir noch über die Blackberry-Junkies gelästert, die ihre Finger nicht vom Gerät lassen konnten und ständig am E-Mails checken waren. Schauen wir uns heute um, so sehen wir im privaten wie im beruflichen Umfeld immer mehr Personen, die am Smart Phone kleben. 4 von 10 iPhones werden von Anwendern aus Unternehmen gekauft. Das Bild von der DNUG Herbstkonferenz spricht für sich.

Jedoch geht es heute nicht mehr nur um E-Mails checken oder SMS schreiben. [Nebenbei bemerkt: Kann man eigentlich mit dem Smart Phone auch noch telefonieren? Oft habe ich den Eindruck, dass dieses Einsatzgebiet komplett in den Hintergrund getreten ist.] Aber zurück zur Nutzung des Smart Phones. Immer mehr Lösungen und Anwendungen laufen auf den Smart Phones. Ob es nun der Twitter- oder Facebook-Client im Web 2.0-Umfeld ist oder ob es um Unternehmensanwendungen geht. Unsere aktuellen Ankündigungen auf der DNUG zeigen nur zu deutlich, daß ein Tablet wie das iPad durchaus auch für „seriöse“ Arbeit benutzt werden kann – und benutzt werden wird. Tablets werden sich getrieben durch den Erfolg des iPads dramatisch ausbreiten. Die mobilen Geräte tragen ebenfalls dazu bei, herkömmliche Strukturen aufzubrechen und stellen die Unternehmens-IT vor neue Aufgaben. Drum herum kommen wird man nicht. Smart Phones (und bald Tablets) sind Realität. Man kann versuchen sie aus dem Unternehmen zu blocken. Dann werden sie halt privat genutzt. Dann liegt das Smart Phone oder das Tablet eben neben dem sorgfältig gesicherten und abgeschirmten Unternehmens-PC und die Anwender verbinden sich per privater UMTS-Karte ins weltweite Netz.

All diese 4 Trends – und es mag noch eine Vielzahl weiterer geben und über entsprechenden Input hier würde ich mich sehr freuen – sind neuartige Herausforderungen. Vor allem sind sie eng miteinander verwoben, beschleunigen, ja potenzieren sich oft gegenseitig. Darin liegt ihre spezielle Mauern erodierende Kraft.Sie stellen auch und gerade neue Herausforderungen an die Unternehmens-IT, die ihre Sicherheits- und Datenschutzkonzepte überdenken und überarbeiten müssen. Auch wenn mancher Service und Server vielleicht aus dem Rechenzentrum und Serverraum in die Cloud wandern wird, könnte gerade im Bereich Sicherheti und Architektur genug und vor allem auch anspruchsvolle Arbeit bleiben.

Aber natürlich ist es nicht nur eine Herausforderung an die IT. Management und Mitarbeiter müssen diesen Trends auch gerecht werden und mit ihnen konstruktiv umgehen können. Und das ist auch die Aufgabe der nächsten Zeit, denn alle diese Entwicklungen sind aus meiner Sicht unaufhaltbar auf dem Weg zum Enterprise 2.0. Auch in der DDR hat sich das Regime lange gegen den Fall der Mauer gewehrt. Aufhalten konnten sie ihn nicht. Die Mauerspechte picken und brechen schon jetzt laufend Stückchen aus den Unternehmensmauern heraus. Hört Ihr sie schon an Euer Unternehmen klopfen?

Comments

2 Antworten zu „Das Enterprise 2.0: Die Mauern werden fallen”.

  1. […] Das Enterprise 2.0: Die Mauern werden fallen (2010 – mit Kommentar zum HomeOffice) […]

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  2. […] Das Enterprise 2.0: Die Mauern werden fallen (2010 – mit Kommentar zum HomeOffice) […]

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